In dem Artikel 20 Orte, an denen man lesen kann habe ich als 20. Punkt die Toilette als ungünstigen Leseort präsentiert. Tatsächlich habe ich nie den Reiz der Toilettenlektüre verstanden, bis der Tag kam, der alles änderte.

Im Herbst habe ich eine Freundin in Italien besucht, deren Wohnung voller Bücher und Kunstwerke ist. Selbst das Bad ist ein inspirierender Ort mit wundervollen Antiquitäten, einem schnörkelig umrahmten Riesenspiegel und – you guessed it – Büchern! Auf einem hübschen, babyblau renovierten Badschränkchen befindet sich eine ganze Reihe von Büchern unterschiedlicher Genres: u. a. griechische Epik, Literaturkritik des 20. Jahrhunderts, epikureische Philosophie, Theologie. Ich muss zugeben, dass ich das extrem schön fand, vom dem Keramikthrönchen aus interessante Lektüren griffbereit vorzufinden, die ich womöglich niemals, womöglich seit langer Zeit nicht mehr aufgeschlagen hatte. Es war so einladend und gemütlich, dass ich seitdem – meine eigenen Warnungen ignorierend – immer wieder mal ein Buch in mein Badezimmer eingeschmuggelt habe.

Die 5 Merkmale idealer Klolektüren

In der Zeit, in der ich diesen mir neuen Leseort ausprobiert habe, konnte ich die 5 Merkmale identifizieren, die in meinen Augen die perfekte Klolektüre ausmachen, und möchte Ihnen diese nicht weiter vorenthalten.

1. Keine langen Geschichten

Ich würde weder einen Thomas-Mann-Roman noch epische Dichtung auf dem Klo lesen wollen. Es gibt wohl Menschen, die gerne eine halbe Stunde oder länger auf dem Thrönchen sitzen. Ich gehöre nicht dazu. Short and sweet sollte die Lektüre werden. Manchmal wird der Toilettengang zum Reflexionsmoment, weil man gerade die eigene Arbeit gezwungenermaßen unterbricht, aber gedanklich noch bei bestimmten Konzeptionen ist. Je nachdem kann man dabei zu einem Buch greifen, das uns zu einer Änderung motiviert, die wir im eigenen Leben anstreben.

2. Aufteilbar

Perfekt eignen sich Bücher, die ohnehin schon in kleinen Häppchen aufgeteilt sind. Wenn das Buch schon an und für sich kleine Leseportionen anbietet, ist das super. Das können Prosabücher mit ganz kurzen Kapiteln sein; Lyriksammlungen sind in dieser Hinsicht aber auch optimal.

3. Ohne fixe Reihenfolge

Günstig für eine Toilettenlektüre ist es auch, wenn das Buch nicht unbedingt in einer bestimmten Reihenfolge zu lesen ist. Bücher, die man einfach irgendwo aufschlagen und durchblättern kann, sind perfekt, selbst wenn mehrere Leute von der Lektüre profitieren wollen.

4. Autarke Lektüre

Die Lektüre auf dem Klo muss für mich absolut autark erfolgen können, d. h. ich will keinerlei Nachschlagewerke noch Schreibwaren benötigen müssen. Das schränkt erstens womöglich die Sprachwahl ein. Außerdem kann ich dort nichts lesen, was ich für Schreibprojekte brauche und worüber ich mir ggf. Notizen machen möchte. Ich will auch nichts zum Schreiben oder Unterstreichen brauchen.

Ich war ehrlich gesagt erstaunt, wie viele Bücher dieses Kriterium ausgeschlossen hat. Es war mir nicht bewusst, wie oft und viel ich beim Lesen schreibe. Es war eine interessante Erkenntnis.

5. Handliches Format

Das Format der gewählten Bücher muss sehr handlich sein. Zum einen müssen sie bequem zu bewegen und halten sein: Sie dürfen weder zu groß noch zu schwer werden. Zum anderen ist es notwendig, dass sie einfach und sicher im Badezimmer verstaut werden können. Sie müssen in die dafür vorgesehene Ablagefläche gut passen und sicher von Wasserspritzern bleiben.

Ich musste immer wieder darüber nachdenken, dass Couchtisch-Bücher inhaltlich perfekt für eine Klolektüre wären. Es sind ja wunderschöne Bände, die oft von kunstbezogenen Themen handeln, wie Fotografie oder Architektur, und von Interior-Designern gerne auf Beistelltischen im Wohnzimmer kuratiert werden. Inhaltlich zwar perfekt, aber das typischerweise sehr große Format mit hochwertigem dickem Papier, das die enthaltenen Fotos und Illustrationen gekonnt in Szene setzen soll, ist nicht mit meinem winzigen Badezimmer unter einen Hut zu bringen.

10 Lektüreempfehlungen fürs stille Örtchen

1. Gedichtssammlungen

Eine der besten Optionen für das stille Örtchen sind für mich Gedichtsammlungen. Gerade kleinere Dichtungsformate, wie Sonette, die man in kurzen Lesephasen genießen kann, eignen sich perfekt. Deswegen durfte sich Petrarca mit seinem Canzoniere eine Zeit lang in unserem Badezimmer aufhalten.

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Ich lese in der Regel am liebsten Sammlungen eines einzelnen Autors. Wenn man viel auf einmal von einem Autor liest, bekommt man ein besseres Gefühl davon, wie er tickt und schreibt, sowie ggf. davon, wie sich der Stil im Laufe seines Lebens entwickelt hat. Als Klolektüre kann ich mir jedoch auch Antologien unterschiedlicher Dichter vorstellen. Deswegen wird als Nächstes The Oxford Book of English Verse drankommen, sobald ich mit meiner aktuellen Lektüre fertig bin.

2. Kurze Inspirationen

Gerade befindet sich Daily Rituals: How Artists Work im Badezimmer. Das Buch bietet einen faszinierenden Einblick in die Arbeitsgewohnheiten kreativer Köpfe. Ob mit Virginia Woolf, Federico Fellini oder Leonardo da Vinci, wir tauchen mit diesem Buch in motivierende Aspekte berühmter Biografien ein, die unsere eigene kreative Energie entfachen können. Die Lektüre empfehle ich jedem, der tiefer in die Welt kreativer Prozesse einsteigen oder interessante Einzelheiten über Persönlichkeit und Lebensführung weltbekannter Künstler erfahren möchte.

Lesen Sie auch: 3 Buchempfehlungen für absolut alle für weitere kreative Inspirationen.

3. Lexika

Da ich geschrieben habe, dass ich keine zusätzlichen Nachschlagewerke gebrauchen will und Handlichkeit von einer Klolektüre erwarten, wird es jetzt komisch klingen, dass ich Lexika auf Toilette lese. Ein dickes Wörterbuch in mehreren Bänden möchte ich mir nicht zwingend ins Badezimmer stellen. Was ich vor Augen habe und immer wieder mal gerne auch auf dem stillen Örtchen gelesen habe, sind eher kleinere Lexika zu ganz bestimmten Themen.

Davon habe ich eine respektable Auswahl. Etwas Leichtes und Unterhaltsames schein mir genau das Richtige. Dieses Dizionario degli insulti [Lexikon der Beleidigungen] erfüllt den Zweck:

4. Zitatensammlungen

Aphorismen, wie sie in Zitatensammlungen gefunden werden, sind von Natur aus kurz und bündig. Kurze, prägnante Aussagen, die in nur wenigen Worten das Wesentliche auf den Punkt bringen, sind perfekt für Momente, in denen die Zeit begrenzt ist und man sich nicht in einen langwierigen Text vertiefen möchte: bedeutungsvolle Weisheiten in kompakter Form, die im Handumdrehen eine Quelle der Inspiration für jeden Toilettenbesucher sein können. Viele sind sogar thematisch geordnet. Von Liebe und Freundschaft bis hin zu Erfolg und Mindset: Ihre Toilette könnte den Gemütszustand jedes Besuchers auf angenehme Weise verbessern. „Weißt Du, was ich gerade gelesen habe?“ wird zum rekurrierenden Satz unter Ihren Familienmitgliedern und Gästen werden.

5. Briefsammlungen

Ein weiteres geeignetes Format scheinen mir Briefe zu sein. Briefsammlungen gewähren intime Einblicke in das Leben von Persönlichkeiten vergangener Epochen und deren Gedankenwelt. Ich mag zum Beispiel gerne die Briefe von Plinius und Seneca, durch die wir nicht nur etwas über ihre persönlichen Erfahrungen und Überzeugungen, sondern auch allgemein viel über Geschichte und Alltag des antiken Roms lernen können.

Von der Länge her sind die Briefe Plinius‘ als Klolektüre oft besser, weil die Sammlung auch viele kürzere enthält. In letzter Zeit habe ich öfter die von Seneca gelesen. Viele davon lesen sich ohnehin fast wie eine Zitatensammlung, um beim vorherigen Punkt zu bleiben, weil sie gerne in kurzen, sentenzenhaften Sätzen verfasst sind.

Spem metus sequitur. [Furcht folgt der Hoffnung.]

Sen. epist. 1.5,7.

Wenn Sie sich für Senecas Briefe interessieren, empfehle ich Ihnen diese Artikel:
Seneca, epistulae ad Lucilium I-III
Senecae epistula ad Lucilium IV
Senecas Lehren für ein gut geführtes Leben (Brief V)
Senecas Argumentationsstil oder Von Hölzchen auf Stöckchen (Brief VI)
Dürfen sich Stoiker zurückziehen? (Brief VIII)
Disce mecum! #3 De thermis (Brief LVI)
Wie Weise trauern (LXIII)

6. Vokabeln lernen

Sie kennen den Lehrerspruch „lieber 10 Minuten jeden Tag als 3 Stunden auf einmal“, wenn es um Sprachen- und insbesondere Vokabellernen geht. Auch der Toilettengang kann eine gute Gelegenheit für eine Minirevision werden.

Auch als ich die Klolektüre noch nicht für mich entdeckt hatte, habe ich gerne das Badezimmer (und den Rest der Wohnung eigentlich auch) mit Glossaren tapeziert, um ein paar zusätzliche exposures zu den frisch erlernten Vokabeln oder Phraseologismen zu ermöglichen.

Glossare gibt es natürlich auch in Buchformat. Ich habe im Studium etwa mit dem Thesaurus Latinus und dem Grund- und Aufbauwortschatz Latein gearbeitet.

Nicht nur handliche Glossare, sondern auch Bildwörterbücher zu blättern, kann ein gewinnbringender Zeitvertrieb beim täglichen Toilettengang. Lateinliebhabern ist natürlich Comenius‘ Orbis sensualium pictus zu empfehlen.

Für Italienischlerner kann ich mir auch den Band Discutere in italiano gut vorstellen.

Lesen Sie auch: Vokabeln lernen? Ja, aber mit Köpfchen.

7. Handliche Grammatiken

Kompakte Grammatiken sind darauf ausgelegt, das Lernen effektiv und zielgerichtet zu gestalten. Sie konzentrieren sich auf das Wesentliche, sodass Leser ihre Zeit optimal nutzen können, ohne sich durch zu vertiefte Informationen kämpfen zu müssen. Ob es darum geht, sich neue Formen einzuprägen, oder darum, Altbekanntes schnell aufzufrischen, 5 bis 10 Minuten am Tag wirken Wunder.

Es wäre mal wieder an der Zeit, meine Ars Graeca auszupacken und ein paar Verbtabellen zu wiederholen.

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8. Gesundheitsförderndes

Der Toilettengang ist stets ein geeigneter Moment, um sich über die eigene Gesundheit Gedanken zu machen, denn schließlich bieten uns unsere Ausscheidungen, selbst wenn wir nicht gerne darüber reden, täglich klare und wichtige Signale. Urinfarbe sowie Informationen nach der Bristol Stool Chart sollten nicht ignoriert werden.

Eine thematisch passende, aufschlussreiche und gleichzeitig leichte Lektüre ist Darm mit Charm von Giulia Enders.

8. Kinder- und Jugendliteratur

Ich lese keine Romane auf Toilette. Trotzdem kann man sich als Klolektüre das Durchblättern verschiedener Kinder- und Jugendbücher vornehmen, die die eigenen Kinder lesen wollen. Manchmal stellt man sich als Eltern bei vielen Büchern die Frage, ob eine Lektüre überhaupt empfehlenswert ist, möchte aber nicht unbedingt das ganze Buch lesen. Als Klolektüre kann man Bücher, die ggf. für die eigenen Kinder bestimmt sind, zur Kontrolle schnell überfliegen.

9. Zeitschriften

Unterhaltsam, leicht lesbar, thematisch flexibel, graphisch ansprechend, in kleinen Häppchen zu genießen: Zeitschriften gelten als die perfekte Klolektüre. Ich kenne mich auf diesem Gebiet nicht gut aus, aber das schreibt ChatGPT dazu:

Zu ChatGPT lesen Sie auch: Seit dieser Antwort liebe ich ChatGPT und Mit KI neue Berufslaufbahn gestalten.

10. Etwas Lustiges

Es gibt viele (vermeintlich oder tatsächlich?) lustige Klolektüren. Wenn ich etwas Lustiges lese will, nehme ich mir ab und zu mundartliche Dichtung vor, wie diese Gedichte in pisanischem Dialekt:

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Silvia Ulivi

Humanistin mit einem unstillbaren Faible für Sprachsysteme, Literatur und Unterricht

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