Ich liebe es, mich über Tage gänzlich der Lektüre zu widmen. Ich liebe es, das ganz Œvre eines Autors so zu lesen, dass ich den Eindruck gewinne, ich würde ihn irgendwie persönlich kennen. Ich liebe es, mit meinem Hund unter einer Decke eingekuschelt in einen Roman zu versinken oder meiner Tochter ein Reimbuch vorzutragen.

Lehrdichtung, Lyrik, Epik, philosophische Dialoge, Romane des 19. Jahrhunderts, Komödien, Fantasy, Jugendliteratur, Fachliteratur und allerlei Sachbücher gehören zu meinen Lieblingsgenres. Bis auf Horror und Krimis kann ich alles lesen, was ich in die Finger bekomme.

Dabei lese ich am liebsten Bücher. Aus Papier. Ich besitze einen eBook-Reader, der seit 4 Jahren nicht angeschaltet wurde, höre dafür für mein Leben gern Hörbücher.

Eigentlich vergeht bei mir selten eine Woche, in der ich kein Buch zu Ende lese oder höre. Dieses Jahr ist aber leider anders, denn, wie ich in einigen Beiträgen geschrieben habe, bin ich gerade Referendarin an einem Gymnasium, sodass die Zeit, die ich mir zum Durchatmen nehmen kann, extrem knapp bemessen ist. 2022 wird also zum ersten Mal seit dem Jahr, in dem meine Tochter ein Baby war, so sein, dass ich unter der 60-Bücher-Marke liege. Und das tut mir in der Seele weh. Dennoch wage ich noch zu hoffen, dass mein Gemüt durch den Vorbereitungsdienst nicht allzu sehr abstumpft und versiegt. Es wird sich noch zeigen.

Heute erzähle ich, was ich gerade lese und welche Bücher zu den Highlights des Jahres zählen.

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Ich mag gerne mehrere Bücher gleichzeitig lesen, wenn sie derart sind, dass man nicht durcheinander geraten kann. Ein Sachbuch, eine Gedichtsammlung und ein Roman lassen sich zum Beispiel wunderbar parallel lesen.

In letzter Zeit ist es jedoch so, dass ich alles Mögliche anfange und nichts zu Ende lese. Das macht mich absolut irre, denn ich gehöre zu denen, die zwanghaft alles, was sie anfangen, zu Ende führen.

Die Bücher, die ich im Laufe der letzten Wochen, teilweise Monate, angefangen habe und noch nicht fertiggelesen habe, sind die folgenden.

Torquato Tasso, Gerusalemme liberata

Epik. Klassiker. Von Schriftstellern und Malern viel rezipiert. Das ist ein Werk aus der „Das-muss-man-eigentlich-kennen“-Liste, das ich vor einiger Zeit angefangen habe und Mitte im 5. Gesang habe links liegen lassen. Das muss sich ändern, denn die Gerusalemme liberata ist wirklich wunderbar und unerwartet humorvoll.

Lesen Sie auch: Gerusalemme liberata – 1. Gesang.

Gloria Steinem, My life on the Road

Diese Autobiographie einer legendären Feministin wurde mir von einer Freundin empfohlen. Die Geschichte baut sehr auf Anekdoten auf, was nicht unbedingt meine beliebteste Erzählstrategie ist. Dennoch scheint mir das Buch lesenswert.

Lese ich auf Wikipedia „national recognized leader of second-wave feminism in the United States in the late 1960s and the early 1970s“, stelle ich mir unwillkürlich eine ziemlich fordernde Person vor, die gerne offensiv spielt – mit sozusagen eher dominanten, meiner Sozialisation entsprechend also eher männlichen Eigenschaften. Doch die Narration zeigt schnell, dass Steinem durch und durch eine Frau ist, wenn man das so formulieren kann. Das Buch ist zwar eine Autobiographie, es handelt aber nicht wirklich von ihr als Person oder gar als Persönlichkeit, sondern viel mehr von den unzähligen Menschen, mit denen sie während ihrer ausgedehnten Reisen in Kontakt getreten ist. Wenn sie sich selbst zeigt, kommen auch ihre Schwächen und Unsicherheiten zum Ausdruck und sie unterstreicht deutlich, welche Leistungen nicht nur von ihr stammen.

Das Buch möchte noch ich zu Ende lesen.

Cicero, Tusculanae disputationes

Als ich angefangen habe, die Tusculanae disputationes zu lesen, habe ich schnell festgestellt, dass mit einer flüchtigen Lektüre nichts hängen geblieben wäre. Deswegen habe ich beschlossen, die fünf Bücher langsamer, als ich zu tun pflege, durchzugehen und mir dabei Notizen zu machen. Ich bin gerade mitten im 3. Buch und es geht im Schneckentempo voran. Ich freue mich aber schon besonders auf Buch 4 und die Unterschiede zwischen pavor, terror, formido …, angor, luctus, dolor u.ä.

Vergil, Aeneis

Kein anderes Buch habe ich dieses Jahr so oft in den Händen gehabt wie Vergils Aeneis und trotzdem habe ich es noch nicht zu Ende gelesen. Manche Gesänge und viele Teile habe ich mehrfach gelesen. Buch 6 war ein wahrer Genuss, denn das ich habe zusammen mit Raffaella – einer sehr gelehrten Altphilologin und Theologin, die mir die Ehre ihrer Freundschaft macht – gelesen und auf Latein paraphrasiert.

Aus der zweiten Hälfte des Epos kenne ich aber leider immer noch nur die bekanntesten Auszüge.

Lesen Sie auch meine Hilfen zur Originallektüre von der Aeneis.

Dostojewski, Der Idiot

Das ist mein aktuelles Hörbuch. Der Kauf hat sich echt mal gelohnt: über 30 Stunden Hörbuch für ein Audible-Guthaben! Leider beherrsche ich kein Russisch und muss mir eine Übersetzung antun, was ich sonst zu vermeiden versuche.

Ich weiß noch nicht ganz, was ich von diesem Roman halten soll, und ich fürchte fast, dass gerade etwas Wesentliches an mir vorbeigeht.

Best of 2022

Hier kommt die Top 10 unter allen Büchern, die ich so weit im Jahr 2022 gelesen habe.

Bei diesen Büchern habe ich herzlich gelacht:

  • Umberto Eco, Filosofi in libertà: die Geschichte der abendländischen Philosophie lustig gedichtet;
  • Francisco de Quevedo, Historia de la vida del Buscón: nicht gerade die anfängerfreundlichste Lektüre, aber perfekt für alle, die spanische Redewendungen und Sprichwörter lernen wollen;
  • William Shakespeare, The Tragedy of Julius Caesar: keine Ahnung, warum ich bei einer Tragödie so viel lachen musste; ich fand sie sehr amüsant.

Die besten „Philologenlektüren“ des Jahres waren:

  • Pico della Mirandola, Oratio de hominis dignitate: Diese zum Manifest der Renaissance erklärte Rede handelt von Würde, Freiheit, Verantwortung und Potential des Menschen sowie von der Notwendigkeit der Philosophie und Theologie:
    • purgatio durch Ethik und Logik
    • illuminatio durch Naturphilosophie
    • perfectio durch Theologie
  • Erasmus, Colloquia familiaria: unendlicher Thesaurus an Redemitteln, um den eigenen Lateinausdruck zu erweitern.
  • Cicero, De officiis: Kardinaltugenden, Pflichten der Menschen je nach Stand und Funktion, utile vs. honestum sind ein paar der wesentlichen Stichwörter, die auf den Inhalt dieses Spätwerks Ciceros hindeuten.

Lesen Sie auch: Mit Erasmus im Alltag Latein sprechen.

Das beste (moderne) Sachbuch war How Women Rise von Sally Helgesen. Ich finde, das sollten auch und insbesondere Männer lesen. Jeder Arbeitsplatz würde davon profitieren, wenn mehr Menschen die unterschiedlichen Verhaltensmuster bei Männern und Frauen verstünden.

Aus der Kategorie „weniger anspruchsvoll“ haben mir gut gefallen:

  • The House in the Cerulean Sea von T.J. Klune: Linus Baker ist ein gewissenhafter Beamter im Department of Magic Youth. Er soll eine spezielle Anstalt für spezielle Kinder am Ende der Welt überprüfen. Er findet da Erschreckendes, Sonderbares, Liebe und langsam auch sich selbst.
  • Die ganze Serie He who Fights with Monsters von Shirtaloon: Der charismatische Australier Jason landet nackt und alleine in einer magischen Welt voller Monster. Das Einzige, was ihm hilft zurechtzukommen, ist das videospielähnliche Inventar, das er nun visualisieren und abhören kann. Er will ein Held werden, doch die Fähigkeiten, die er während seiner Abenteuer erwirbt, sind böse und gruselig.

Das beste Kinderbuch war mit Sicherheit Tilda Apfelkern. Wunderbare Geschichten aus dem Heckenrosenweg von Andreas H. Schmachtl. Wunderhübsche Bilder, liebevoll mit Aquarellen bemalt. Die Geschichten sind schön und im Gegensatz zu den meisten Kinderbüchern, die es auf dem Markt gibt, sehr gut geschrieben.

Auszug aus meiner To-Be-Read-Liste:

Wilde Mischung, wenn ich die Titel zusammen sehe…

Wer hat noch Buchempfehlungen?

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Silvia Ulivi

Humanistin mit einem unstillbaren Faible für Sprachsysteme, Literatur und Unterricht

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