Ich lese gerade die Tusculanae disputationes und mache mir dabei Notizen. Heute gehe es ums zweite Buch; hier finden Sie die Notizen zum ersten Buch.

  • 45 v. Chr. in Tusculum verfasst
  • Brutus gewidmet
  • aristotelischer Dialog zwischen magister und discipulus
  • 5 Bücher, je eine schola
  • Buch 1: Der Tod ist kein Übel ist
  • Buch 2: Wie man Schmerz erträgt

Zweites Buch de utilitate philosophiae

Proömium (1-9)

necesse mihi quidem est philosophari

Cic. Tusc. 2.1.

Die Philosophie kann von Begierde, Kummer und Furcht befreien (aut cupiditate aut aegritudine aut metu liberermur (2.2)) und Cicero will sich damit beschäftigen, obwohl er schon heftige Widerworte erwartet (2.3f.). Sein Ziel ist es, die griechische Philosophie nach Rom zu bringen (sowie, wo immer geht, die Epikureer zu kritisieren).

Nutzen der Philosophie (10-13)

Efficit hoc philosophia: medetur animis, inanes sollicitudines detrahit, cupiditatibus liberat, pellit timores.

Cic. Tusc. 2.11.

In (12) werden die kritisiert, die Wasser predigen und Wein trinken.

Die Philosophie ist die cultura animi; und bekanntermaßen sind nicht alle Felder fruchtbar.

These der zweiten schola (14)

Heutige These: Der Schmerz ist der größter aller Übel:

Dolorem existimo maxumum malorum omnium.

Cic. Tusc. 2.13.

Die Schande (dedecus) sei doch schlimmer! (Warum qualifiziert Schande nicht als Schmerz?! 🤷🏻‍♀️)

Was Philosophen über den Schmerz sagen (15-33)

Zuerst werden falsche Vorstellungen über den Schmerz aufgeführt: von Aristipp u.a., Epikur, Dichtern, noch mal Epikur (je öfter man ihn beleidigt, desto besser), Stoikern.

Aristipp meinte fälschlicherweise, dass der Schmerz das größte Übel sei; ähnlich argumentierte Hieronymos von Rhodos, dem zufolge das Freisein von Schmerz das höchste Gut sei.

Epicurus vero ea dicit, ut mihi quidem risus captare videatur. Adfirmat enim quodam loco, si uratur sapiens, si crucietur – exspectas fortasse, dum dicat: ‚patietur, perferet, non succumbet‘; magna mehercule laus et eo ipso, per quem iuravi, Hercule, digna; sed Epicuro, homini aspero et duro, non est hoc satis: in Phalaridis tauro si erit, dicet: ‚quam suave est, quam hoc non curo!‘ suave etiam?

😄 Cic. Tusc. 2.17.

Cicero reicht es, wenn der Weise den Schmerz aushalten kann:

Si fortis est in perferendo, officio satis est; ut laetetur etiam, non postulo.

Cic. Tusc. 2.18.

Denn der Schmerz IST ein Übel – obwohl die Stoiker anders denken (2.29) –, nicht der größte, aber trotzdem ein Übel: certe dolorem malum (2.25).

Dichter verweichlichen die Leser, indem sie die tapfersten Helden herumjammern lassen (2.27).

Die Frage, die man sich stellen sollte, ist nicht, ob der Schmerz ein Übel sei, sondern wie man ihn ertragen kann:

nec tam quaerendum est, dolor malumne sit, quam firmandus animus ad dolorem ferendum.

Cic. Tusc. 2.28.

Auch um dedecus zu vermeiden, denn fortitudo custos dignitatis (2.33). Stichwort: patientia (2.33).

Wie man den Schmerz erträgt (34-65)

Man kann lernen, den Schmerz zu ertragen, indem man (a) sich mit labor körperlich abhärtet oder (b) dank der Vernunft geistig abhärtet.

Labor

Mit labor härten sich Kreter, Spartaner, Soldaten, Sportler und Gladiatoren gegen den Schmerz ab.

Unterschied zwischen labor und dolor:

Labor est functio quaedam vel animi vel corporis gravioris operis et muneris, dolor autem motus asper in corpore alienus a sensibus.

Cic. Tusc. 2.35.

Für labor und dolor haben die Griechen nur ein Wort, ätschi bätschi! (2.35) – πόνος, woraus φιλόπονος.

Ratio

dolorem omnem esse tolerabilem

Cic. Tusc. 2.42.

Außerdem ist es lobenswert, den Schmerz zu ertragen:

nec vero quisquam fuit, qui eum, qui ita pateretur, non laudandum putaret.

Cic. Tusc. 2.43.

Stärke und Mannhaftigkeit, fortitudo und virtus, helfen dabei. Die Aufgabe der fortitudo ist v.a. die mortis dolorisque contemptio (2.43).

Doch doch, das passt noch mal… 🙄

Erträgt man den Schmerz, bewährt man decus, das höchste, nein das einzige Gut! Man möge es sonst auch honestas, laus, dignitas nennen (46).

Die Seele – animus – besteht aus zwei Teilen, von denen der eine rational, der andere irrational ist (vgl. Politeia 430c): Erstere soll die Oberhand bekommen, ut nobismet ipsis imperemur, ut ratio coerceat temeritatem (47).

Sed praesto est domina omnium et regina ratio, quae conixa per se et progressa longius fit perfecta virtus.

Cic. Tusc. 2.47.

Männer jammern nicht rum; auch Frauen sollte nicht unkontrolliert heulen (48ff.).

Man soll durch Anstrengung sowie Stärkung der Mannhaftigkeit stets ein würdiges Verhalten bewahren:

Et si verum quaerimus, in omnibus officiis persequendis animi est adhibenda contentio; ea est sola officii tamquam custodia.

Cic. Tusc. 2.55.

Seufzen und sonstige Laute, die das Empfinden von Schmerz zeigen, sind nur zulässig, wenn sie der Stärkung der eigenen contentio dienen, wie ein Schrei vor einem Kampf.

Nec vero ne ingemescit quidem vir fortis ac sapiens, nisi forte ut se intendat ad firmitatem […].

Cic. Tusc. 2.55.

Zusammenfassend:

Si gemitus in dolore ad confirmandum animum valebit, utemur; sin erit ille gemitus elamentabilis, si inbecillus, si abiectus, si flebilis, ei qui se dederit, vix eum virum dixerimus.

Cic. Tusc. 2.57.

(58-61): Beispiele und Vorbilder

Da das Bewahren der eigenen Würde und die dazu nötige Stärkung des Geists durch die Tugend den Schmerz erträglich machen, sind alle Bemühungen, die zu Ruhm und Lob führen, nicht schmerzlich, sondern erträglich.

Dennoch ist das Lobenswerteste, eine solche amplitudo animi auch dann zu besitzen, wenn keine Zuschauer und kein Beifall da sind, denn das eigene Bewusstsein ist stets ihr wichtigster Zuschauer:

Amplitudinem animi […], quae maxime eminet contemnendis et despiciendis doloribus, unam esse omnium rem pulcherrimam, eoque pulchriorem, si vacet populo neque plausum captans se tamen ipse delectet. Quin etiam mihi quidem laudabiliora videntur omnia, quae sine vendicatione et sine populo teste fiunt, non quo fugiendus sit – omnia enim bene facta in luce se conlocari volunt –, sed tamen nullum thatrum virtuti conscientia maius est.

Cic. Tusc. 2.64.

Der Schmerz ist zwar ein Übel, aber eben ein solches, dass es von der Tugend problemlos überschattet werden kann. Wenn wir wahre Weise werden, werden wir nicht nur stimulos doloris, sondern auch fulmina fortunae – u. a. im Hinblick auf das gestrige Gespräch über den Tod (siehe Notizien zum 1. Buch) – ertragen können.

Mit virtus erträgt man wohl Schmerz wie ein richtiger vir. Auch als Frau.

Jeden Sonntag erscheint ein neuer Artikel auf der Webseite. Bis der nächste herauskommt, könnten Sie auch diese interessieren:




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Silvia Ulivi

Humanistin mit einem unstillbaren Faible für Sprachsysteme, Literatur und Unterricht

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