„Ich kann mir nie merken, wann man in verwenden soll.“
Ich habe viele Studierende und auch fertige Latinisten diesen Satz sagen hören. Die Frage, ob man die Präposition in bei Zeit- und Ortsangaben verwendet, schafft es immer wieder, Probleme zu bereiten. Doch die Grundregel ist sehr einfach und mit einem kleinen Trick verfliegen die meisten Schwierigkeiten.
Im Deutschen kommen Präpositionen sowohl bei Zeit- als auch bei Ortsangaben vor: am Morgen, im Juli und in Deutschland, auf dem Marktplatz. Bloße Nominalgruppen ohne Präposition gibt es, sind aber deutlich seltener (z. B. dieses Jahr in den Urlaub fahren). Deswegen müssen wir beim Übersetzen aus dem Deutschen besonders aufpassen, weil die Strukturen in den zwei Sprachen einander nicht entsprechen.
Als Grundregel fürs Lateinische kann man sich merken:
– Ortsangaben mit Präposition (außer Städtenamen)
– Zeitangaben ohne Präposition
Ist es wirklich so einfach? Eigentlich ja.
Warum braucht der Rubenbauer/Hofmann mehrere Abschnitte für dieses Thema? Aus drei Gründen:
- weil diese Frage mehrere Satzglieder und Füllungsarten betrifft, die separat behandelt werden;
- weil die sich daraus ergebenden Überlappungen in Grammatiken Wiederholungen oder Verweise notwendig machen;
- weil Regeln und Ausnahmen „stumpf“ aneinandergereiht werden, sodass absolut unentbehrliche Strukturen und nebensächliche Seltenheiten in der Darstellung oft betrügerischerweise gleichwertig zu sein scheinen.
Ist der RH also falsch? Nein, das sind einfach unvermeidliche Gegebenheiten, mit denen man konfrontiert wird, wenn man eine wissenschaftliche Grammatik als Lerngrammatik verwenden will. Die Themen sind rein inhaltlich, also sprachwissenschaftlich, organisiert und nicht didaktisch aufbereitet.
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Lokale Angaben
Ortsangaben sind in der Regel als Präpositionalphrase mit in realisiert:
- in Italiā
- in forō
- in summō monte
- in Siciliā
- in mēnsā
Ich berücksichtige hier offensichtlich keine anderen Präpositionen wie sub, inter usw., die ebenfalls Ortsangaben ausdrücken können, sondern konzentriere mich auf die Frage: mit oder ohne in?
Ortsangaben stehen fast immer mit in!
Nur bei Städtenamen ohne jegliche Attribute werden Ortsangaben nicht mit der Präposition, sondern mit bloßem Ablativ oder Lokativrelikten ausgedrückt:
- Lokativ für Singularia der a- und o-Deklination, also auf -ae bzw. -ī: Rōmae ‚in Rom‘ bzw. Berolīnī ‚in Berlin‘
- sonst Ablativ, also bei der konsonantischen Deklination und im Plural: Carthāgine ‚in Karthago‘, Gādibus ‚in Cádiz‘, Pīsīs ‚in Pisa‘
Ich wiederhole Städtenamen. Es geht nicht um die Substantive urbs und oppidum.
Ich möchte auch ein Wort zum arcanum der großen und kleinen Inseln verlieren. Warum sagt man in Siciliā und in Sardiniā, aber Cyprī? Entgegen dem, was in den meisten Grammatiken steht, ist nicht die geographische Ausdehnung ausschlaggebend. Die obige Regel zu den Städtenamen steht und reicht nämlich völlig aus, denn die sog. „kleinen“ Inseln, die ohne Präposition stehen, sind die, die nach einer Stadt benannt sind. Da (zumindest zur Zeit der Benennung) nur ein oppidum oder eine polis auf der Insel war, gilt die obige Regel der Städtenamen. Tendenziell sind es eben die kleineren Inseln, auf die diese Tatsache zutrifft.
Dieselbe Regel – Präposition bei lokalen Angaben außer bei Städtenamen – gilt auch für Richtungs- und Herkunftsangaben:
- in Italiam, ex Italiā
- Rōmam, Rōmā
Achtung: Bei Kriegen sagt man ad + Stadtnamen, da Schlachten in der Nähe der Städte und nicht innerhalb der Stadtmauern stattfanden, wie diese Belege zeigen:
- perīimus ad Cannās (Liv. 25.6,6)
- ad Syrācūsās terrā marīque geritur rēs (Liv. 25.6,21)
Außerdem gelten die Regeln der Städtenamen auch für die Substantive domus und rūs. Zur Übersicht:
nōmen | ubi? | quo? | unde? |
Asia, ae f. | in Asiā | in Asiam | in Asiā |
Italia, ae f. | in Italiā | in Italiam | ex Italiā |
Rōma, ae f. | Rōmae | Rōmam | Rōmā |
Syrācūsae, ārum f. | Syrācūsīs | Syrācūsās | Syrācūsīs |
Gādēs, ium f. | Gādibus | Gādēs | Gādibus |
Corinthus, ī f. | Corinthī | Corinthum | Corinthō |
Berolīnum, ī n. | Berolīnī | Berolīnum | Berolīnō |
Sardinia, ae f. | in Sardiniā | in Sardiniam | ex Sardiniā |
Cyprus, ī f. | Cyprī | Cyprum | Cyprō |
domus, ūs f. | domī | domum | domō |
rūs, rūris n. | rūrī | rūs | rūre |
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Ausnahmen der Präpositionsregel sind das Wort locus, das meistens – vor allem im übertragenen Sinne etwa von ‚Textstelle‘ – sehr sehr gerne ohne Präposition verwendet wird, sowie die Wendung terrā marīque und ihre Varianten.
Temporale Angaben
Die Angabe eines Zeitpunktes, die also auf die Frage wann? antwortet, erfolgt durch bloßen Ablativus temporis, z. B.:
hōc annō | dieses Jahr |
mēnse Māiō | im Mai |
eōdem diē | am selben Tag |
hōrā quartā | zur vierten Stunde |
vēre / aestāte / autumnō / hieme | im Frühling / Sommer / Herbst / Winter |
temporibus antiquīs | in alten Zeiten |
M. Lepidō Q. Catulō cōnsulibus | im Konsulatsjahr des Marcus Lepidus und Quintus Catulus |
biduō | an (diesen) zwei Tagen, innerhalb von zwei Tagen |
prīmā lūce | bei Tagesanbruch |
tempore vespertīnō | am Abend, in den Abendstunden |
occāsū sōlis | bei Sonnenuntergang |
nocte / noctū | nachts |
vespere / vesperī | abends |
Für ‚tagsüber‘ gibt es dagegen ein Adverb: interdiū.
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Auch Altersangaben verwendet man ohne Präposition. Die Präposition in wird nur dann gebraucht, wenn kein Attribut vorhanden ist:
- extrēmā pueritiā, aber in pueritiā
- prīmā adulēscentiā, aber in adulēscentiā
- summā senectūte, aber in senectūte
Dies gilt auch bei anderen Wendungen, wie:
- bellō Pūnicō alterō, aber in bellō
- multā pāce, aber in pāce
Sind das Ausnahmen? Ich glaube nicht.
Die Einteilung zwischen eigentlichen und uneigentlichen Zeitbezeichnungen, die RH in §156 vornimmt, ergibt überhaupt keinen Sinn. Warum sollte in pueritiā eine uneigentliche Zeitbezeichnung, aber lūdīs eine eigentliche?!
Ich bin vielmehr der Überzeugung, dass Zeitangaben oft nicht wirklich temporal, sondern eher als allgemeine Umstände, wenn nicht gar lokal verstanden werden. Sehr oft findet eine Vermengung zwischen Zeit- und Ortsvorstellungen statt.
Vermengung von Zeit und Ort
In manchen Fällen haben wir also doch Zeitangaben mit in. Nicht nur die oben genannten in pueritā u. ä., sondern eine ganze Reihe weiterer Ausdrücke wie:
- in ōtiō
- in negotiō
- in itinere
- in summō discrimine
- …
Warum ist das so?
Mir scheint es sich so zu verhalten, dass man die Präposition in bei Temporalangaben dann verwendet, wenn sich die Vorstellung von Zeit einerseits und Raum andererseits gegenseitig beeinflussen. Das geschieht im Lateinischen genau so wie im Deutschen, weswegen wir etwa von langer Zeit sprechen können, indem wir die räumliche Länge metonymisch auf temporale Vorstellungen übertragen. Sagen wir in ōtiō dē negōtiīs cōgitāre, ist in ōtiō relativ eindeutig eine Zeitangabe, während wir in ōtiō versārī oder se in ōtium cōnferre räumlich verstehen. Meiner Meinung nach denkt man auch bei in pueritiā eher lokal, und zwar so, wie wenn wir im Deutschen sich in den besten Jahren befinden sagen. Es ist die metonymische Vermengung temporaler und räumlicher Wahrnehmung, die den Gebrauch der Präposition bei Temporalangaben rechtfertigt, da diese nicht immer temporal, sondern auch lokal gedacht sein können. Manche Nachschlagewerke, wie das lateinisch-deutsche Wörterbuch von Pons, sprechen in diesen Fällen allgemein von „Umständen“.
Dass diese zwei Ebenen – temporal und lokal – durcheinander gehen können, sehen wir auch anhand von RH § 154. Wendungen wie domī mīlitaeque werden aufgrund der Lokativrelikte unter den Ortsangaben aufgeführt. Es besteht synchron jedoch überhaupt kein Grund, in bellō als Ortsangabe und in pueritiā als Zeitangabe zu analysieren.
Ein weiteres Beispiel für ein Wort, das solche Umstände angibt und mal temporal mal lokal verstanden werden kann, ist discrimen, und zwar in den Fällen, in denen es einen ’sehr gefährlichen‘ und daher ‚entscheidenen Augenblick‘ bezeichnet. Auch hier überwiegt die räumliche Konzeption, wie an Übersetzungen wie ‚gefährliche Lage‚ ersichtlich, obwohl es sich um einen Zeitpunkt handelt. Daher benutzen wir die Präposition in:
- in summō discrimine rērum versārī
- in ultimō discrimine vītae esse
- aliquid in discrimine est / adductum est / versātur, utrum … an …
Ähnlich kann man auch die Sonderregel mit den Multiplikativa erklären: Wenn semel, bis, ter bei der Zeitangabe sind, verwendet man die Präposition in:
- semel in vītā
- bis in diē
- …
Diese Vermengung von Zeit- und Ortsvorstellungen sehen wir ebenfalls, wenn wir das Wort Zeit ins Lateinische übersetzen. Nicht immer können wir tempus dafür nehmen. Nein, manchmal müssen wir auf… spatium (!) zurückgreifen.
Man beachte,
- dass man unter tempus ohne weitere Attribute oft tempus opportūnum versteht (siehe tempus est);
- dass tempus in anderen Fällen, in denen eine reine Zeitangaben gedacht ist, eher im Plural verwendet wird (siehe temporibus Augūstī);
- dass Zeit als zur Verfügung stehendes Gut eher mit spatium als mit tempus wiedergegeben wird.
Dies vorausgesetzt, folgen hier ein paar wichtige phraseologische Wendungen:
tempus est + AcI/Inf. | es ist an der Zeit |
mihi nōn est spatium | ich habe keine Zeit |
(in) tempore | mit der Zeit / zur rechten Zeit |
aetāte / temporibus Augūstī | zur Zeit des Augustus |
in praesēns (tempus) / in praesentia | für den Augenblick |
aliquid in aliud tempus differre | etwas aufschieben |
paucōrum diērum spatium dare ad aliquid faciendum | wenige Tage gewähren, um etwas zu machen |
temporī cēdere | sich den (Zeit-)Umständen fügen |
spatiō (temporis) intermissō | nach Verlauf einiger Zeit |
Auch was das bereits angesprochene ‚im Krieg und Frieden‘ angeht, sollte man im Rahmen der Stilübungen unbedingt die Phraseologie bemühen:
bellō Pūnicō secundō / bellō Persārum | im 2. Punischen Krieg / im Perserkrieg |
in bellō | im Krieg |
in pāce | im Frieden |
per ōtium | im Frieden |
bellī domīque | in Krieg und Frieden |
domī mīlitiaeque | in Krieg und Frieden |
pāce bellōque | in Krieg und Frieden |
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Zusammenfassend
– Zeitangaben ohne in: hōc diē, hieme exeunte, mēnsibus praeteritīs
– Lokale Angaben – Ort, Richtung und Herkunft – mit Präposition außer Städtenamen: in Asiā, in urbe, in pōculō bzw. in Asiam, in urbem, in pōculum bzw. ex Asiā, ex urbe, ex pōculō; aber: Rōmae, Rōmam, Rōmā
– Umstände mit in: in itinere, in senectūte, in virtūte, in ōtiō
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