Fārī ’sprechen‘, fātum ‚Schicksal‘, fābula ‚Geschichte‘, cōnfitērī ‚gestehen‘ sind alle Wörter aus ein und derselben Sprachfamilie. Da Wörter nach Wortfamilien zu lernen sehr hilfreich und unter vielen Gesichtspunkten erhellend ist, schauen wir uns heute viele lateinische Vokabeln an, die die idg. Wurzel *bha (lat. fa, agr. φα/φη) enthalten.

Einen Index der verwendeten Abkürzungen finden Sie hier.

Verkünden

Das Verb for, fātus sum, fārī ‚künden‘ hat zunächst einmal mit Göttern zu tun sowie den Orakeln, durch die die Götter ihren Willen kundtun.

Da fārī mit dem Ausdruck göttlichen Willens zusammenhängt, bezeichnet das substantivierte Supin fātum sowohl die konkrete ‚Weissagung‘ als auch allgemein das, was der Weltordnung und dem Willen der Götter entspricht, also das ‚Schicksal‘. Wenn Aeneas am Ende des dritten Buchs der Aeneis die Erzählung über seine Irrfahrten abschließt und geschrieben steht:

fata renarrabat divum cursusque docebat.

Verg., Aen. 3.717

spielt die Grundbedeutung von fātum als das ‚Verkündete‘ offensichtlich eine große Rolle: Der pius Aeneās erzählt nämlich von seinem Schicksal, in dem er das wiedergibt (renārrābat), was die Götter für ihn bestimmt hatten (fāta dīvum).

Wie so oft in der lateinischen Sprache, kann das Wort fātum je nach Kontext positiv (‚Weltordnung‘), neutral (‚Schicksal‘) oder negativ (‚Verhängnis‘, ‚Verderben‘) aufgefasst werden. Manchmal wird fātum auch im Sinne von ‚Tod‘ verwendet, als dem zum Sterben bestimmten Zeitpunkt. Mit dem Plural Fāta bezeichnen manche Dichter auch die Parzen, die Schicksalsgöttinnen.

Das Adjektiv fātālis kann ‚Schicksals-‚, ‚das Schicksal betreffend‘; ‚vom Schicksal bestimmt‘; ‚verhängnisvoll‘ bedeuten.

Fās (f., indeklinabel) ist die ‚Bestimmung der Götter‘ und das ‚göttliche Recht‘, also all das, was sich gehört, weil es als Regel von oben kommt. Oft wird es mit ius ‚Recht‘ verbunden: Was contra ius fasque passiert, verstößt sowohl gegen menschliche als auch gegen göttliche Gesetze.

Das Gegenteil ist nefās, also das, was sich nicht gehört, weil es gegen die kosmische oder göttliche Bestimmung geht. Nefās ist es etwa, sich im Umgang mit Heiligtümern oder vor religiösen Riten die Hände nicht zu waschen. Das weiß der pius Aeneās ganz genau, als er aus Troja fliehend Anchises bittet, die Penaten zu tragen:

tu, genitor, cape sacra manu patriosque penatis;

me bello et tanto digressum et caede recenti

attrectare nefas, donec me flumine vivo

abluero.

Verg., Aen. 2.717-720.

Als unheilvolles Omen und sprießenden Samen des Wahns, der Hercules in Senecas‘ Tragödie Hercules furens befallen wird, ist dagegen die von Hybris zeugende Antwort Hercules‘ auf Amphytrions Aufforderung, sich die blutigen Hände vor Vollzug der Opfergabe zu reinigen. Nefās pur!

AM. Nate, manantes prius

manus cruenta caede et hostili expia.

HE. Utinam cruore capitis invisi deis

librare possem: gratior nullus liquor

tinxisset aras.

Sen., Herc. f. 918-922.

Sprechen

Verben

Das Verb fārī wird, insbesondere in der Dichtung, auch im Sinne von ’sprechen‘ verwendet. Es gibt auch entsprechende Präfigierungen:

  • adfārī/affārī: ‚anreden‘, auch ‚anflehen‘
  • ecfārī/effārī: ‚aussprechen‘, auch ‚weihen‘ (templum effārī)
  • interfārī: ‚dazwischenreden‘
  • praefārī: beim Sprechen ‚vorausschicken‘
  • prōfārī: ‚herausreden‘, ’sprechen‘; ‚weissagen‘

Sehr oft kommen die Intensiva fatērī und cōnfitērī vor. Es gibt aber auch andere Verben mit dem Infix -it-:

  • fatērī: ‚gestehen‘, ‚zugeben‘, ‚bekennen‘ ↔︎ diffitērī: eine Tatsache ‚in Abrede stellen‘
  • cōnfitērī: ‚eingestehen‘, ‚bekennen‘; ‚deutlich zeigen‘, ‚offenbaren‘ ↔︎ īnfitiārī: ‚leugnen‘, ‚abstreiten‘, ’nicht anerkennen‘
  • prōfitērī: ‚offen/öffentlich bekennen‘ (z. B. de parricīdiō, sē amīcum); ‚verheißen‘, ‚freiwillig anbieten‘ (z. B. operam, sē ventūrum); in einer Disziplin ‚tätig sein‘ (transitiv, z. B. philosophiam, iūs, medicīnam – vgl. ne. profession); ‚amtlich angeben‘ (z. B. nōmen, cēnsum, fūrtum).

Adjektive

  • fāndus: ’sagbar‘, ‚aussprechlich‘ ↔︎ nōn fāndus: ’namenlos‘
  • fāndus ↔︎ īnfāndus: ‚unerhört‘; negativer auch: ‚abscheulich‘
  • fāndus auch: ‚recht‘, ‚erlaubt‘ ↔︎ nefāndus ‚verrucht‘, ‚ruchlos‘
  • nefārius (< nefās): ‚gottlos‘, ‚frevelhaft‘, ‚verrucht‘

Obwohl die Adjektive īnfāndus und nefāndus sehr nah beieinander und in manchen Kontexten austauschbar sind, ist die Bedeutung leicht unterschiedlich:

  • īnfāndus: ‚dici non potest‘
  • nefāndus: ‚dici non decet‘

Übrigens bezieht sich das Adjektiv nefāndus in vorchristlicher Zeit ausschließlich auf Unbelebtes (z. B. scelus nefāndum); erst ab dem 1. Jh. n. Chr. wird es auch auf Menschen bezogen.

  • īnfāns: ‚der (noch) nicht sprechen kann‘, oft substantiviert
  • affābilis: ‚ansprechbar‘, ‚leutselig‘
  • cōnfessus in aktivischer Bedeutung: ‚geständig‘ (z. B. reus)
  • cōnfessus in passivischer Bedeutung: ‚eingestanden‘; daher auch ‚unzweifelhaft‘, ‚allgemein anerkannt‘ ↔︎ contrōversus, dubius
  • prōfessus: ‚bekannt‘, ‚zugestanden‘, ‚offenbar‘
  • fācundus in Bezug auf Menschen: ‚redegewandt‘; seltener in Bezug auf den sprachlichen Ausdruck: ‚geläufig‘, ‚gefällig‘ (z. B. ōrātiō, vōx)

Erzählen

Haben wir die Bedeutung ’sprechen‘ von fārī vor Augen, scheint mir ebenfalls nützlich zu sein, sich vor Augen zu führen, dass fābula und fāma mit zu dieser Wortfamilie gehören.

Fābula

Fābula – nicht zu verwechseln mit dem ‚Böhnchen‘ fabula – ist zunächst einmal die ‚Erzählung‘, auch das ‚Gerede‘ oder das ‚Gerücht‘. Parallel zu agr. μῦθος kann fābula außerdem sowohl ‚Wechselgespräch‘, ‚Konversation‘ als auch fiktive ‚Erzählung‘ und ‚Sage‘ bedeuten. Zudem kann das Wort einerseits die äsopische ‚Fabel‘, andererseits das ‚Theaterstück‘ (fābula scaenica) als Genres bezeichnen. Eine ‚kleine Erzählung‘ oder ein ‚kleines Schauspiel‘ ist das Deminutiv fābella. Der ‚Fabelschriftsteller‘ oder ‚-dichter‘ ist der fābulātor (agr. μυθολόγος). Fābulātiō ist sowohl die ‚Erzählung‘ als auch die ‚Unterhaltung‘. Das, was man zur Erzählung sagt, also die moralische Deutung einer Fabel, die Fābula-docet-Formel nennt man auf Latein affābulātiō (< ad + fābulātiō).

Das Verb dazu – fābulārī (vorklassisch auch fābulāre) –, das ’sprechen‘, ‚plaudern‘, ’sich unterhalten‘ heißt, lebt in sp. hablar weiter.

Die Adjektive fābulāris und fābulōsus können beide ‚der Sage angehörig‘ (agr. μυθικός) bedeuten. Fābulōsus hat jedoch ein weiteres semantisches Spektrum: ‚reich an Sagen‘ (carmina fābulōsa); ‚im Mythos berühmt‘, ‚durch Sagen berühmt‘ (ad mōntem Āfricae vel fābulōsissimum Atlantem Plin., nat. 5.5); ‚den Mythos liebend‘ (antīquitās fābulōsa); ‚dem Mythos angehörig‘; aber auch ‚einem Mythos ähnlich‘ und daher ‚unglaublich‘, ‚fabelhaft‘, ‚unerhört‘ (quamquam in vērissimīs rēbus tam fābulōsa māteria Plin. ep. 8.4).

Wie wir gesehen haben, kann fābulōsus oft Synonym von commentīcius sein. Entsprechend sind fābulō, nis m. der ‚Geschichtenerzähler‘, der ‚Lügenschmied‘ und fābulōsitās ein Kollektivum für ‚erfundene Geschichten‘, auch zur ‚Prahlerei‘ und ‚Angeberei‘.

Fāma

Fāma kann all das bezeichnen, was von der erzählenden Masse tradiert wird, und ist daher zunächst einmal sowohl das ‚Gerede‘, das ‚Gerücht‘ als auch die ‚Tradition‘ und die ‚Sage‘. Da das Gerede urteilend wirken kann, ist fāma ebenfalls die daraus entstandene ‚Volksstimme‘, die ‚öffentliche Meinung‘; in dieser Bedeutung kommt fāma gerne mit opīniō zusammen vor. Schließlich bezeichnet man damit den ‚Ruf‘, und zwar sowohl im positiven Sinne den ‚guten Ruf‘ als auch im negativen Sinne die ‚üble Nachrede‘.

Das Adjektiv fāmōsus kann im passivischen Sinne jemanden oder etwas bezeichnen, worüber viel gesprochen wird, und zwar entweder positiv – ‚viel von sich reden machend‘ – oder negativ – ‚berüchtigt‘. In aktivischer Bedeutung heißt es ‚verleumderisch‘.

Hat jemand oder etwas seinen guten Ruf verloren, ist er/es ‚berüchtigt‘, ‚verrufen‘, zu Latein: īnfāmis. Bezogen auf Unbelebtes ist īnfāmis das, was in üblen Ruf bringt, also ’schmachvoll‘, ‚entehrend‘, wie in der Wendung alicui īnfāme est + AcI. Das Substantiv dazu heißt īnfāmia, der Akt der Verleumdung īnfāmātiō. Denn īnfāmāre bedeutet ‚in Schande bringen‘, ‚Unehre machen‘, aber auch ‚anschwärzen‘, ‚verdächtigen‘.

Das Verb diffāmāre ist in vorchristlicher Zeit negativ konnotiert – ‚verlästern‘, ‚verunglimpfen‘, ‚verleumden‘ –, wird aber später, etwa von Augustinus (deus diffāmātur), im positiven Sinne von ‚preisen‘, ‚feiern‘ verwendet. So verwendet Augustinus auch das Substantiv diffāmātiō.

Als Zusammensetzung von fāma und gerere haben wir das Verb fāmigerāre (agr. διαφημίζω) ‚berühmt machen‘.

Und nun ein paar nützliche Wendungen mit fāma

fāma/rūmor est‚es geht das Gerücht‘
fāma percrēbrēscit‚das Gerücht verbreitet sich‘
fāmam dissipāre‚ein Gerücht verbreiten‘
aliqud fāmā accipere‚etwas vom Hörensagen mitbekommen‘
fāma vulgāta est‚die Kunde wurde allgemein bekannt‘
rūmor exstinguitur‚das Gerücht verstummt‘

Abschließend gebe ich hier die wunderschöne Stelle der Metamorphosen wieder, in der die personifizierte Fāma dargestellt wird:

Orbe locus medio est inter terrasque fretumque

caelestesque plagas, triplicis confinia mundi;

unde quod est usquam, quamvis regionibus absit,

inspicitur, penetratque cavas vox omnis ad aures.

Fama tenet summaque domum sibi legit in arce,

innumerosque aditus ac mille foramina tectis

addidit et nullis inclusit limina portis;

nocte dieque patet. tota est ex aere sonanti,

tota fremit vocesque refert iteratque quod audit.

nulla quies intus nullaque silentia parte,

nec tamen est clamor, sed parvae murmura vocis,

qualia de pelagi, si quis procul audiat, undis

esse solent, qualemque sonum, cum Iuppiter atras

increpuit nubes, extrema tonitrua reddunt.

atria turba tenet; veniunt, leve vulgus, euntque

mixtaque cum veris passim commenta vagantur

milia rumorum confusaque verba volutant.

e quibus hi vacuas implent sermonibus aures,

hi narrata ferunt alio, mensuraque ficti

crescit, et auditis aliquid novus adicit auctor.

Ov., met. 12.39-58

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Verwendete Lexika


Silvia Ulivi

Humanistin mit einem unstillbaren Faible für Sprachsysteme, Literatur und Unterricht

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