Im Lateinstudium ist das Übersetzen das A und O. Insbesondere die Übersetzung von Texten aus dem Lateinischen ins Deutsche muss irgendwann sicher klappen. Heute gebe ich Ihnen ein paar Tipps, wie Sie das Meiste aus den Übersetzungskursen, die Sie an der Universität besuchen, holen können. Das betrifft zwar insbesondere Latinistikstudierende, aber auch andere, die sich auf das staatliche Latinum vorbereiten.

(Für Materialen zur deutsch-lateinischen Übersetzung schauen Sie hier.)

Wie der eine oder die andere von Ihnen vielleicht aus anderen meiner Beiträge weiß – zum Beispiel aus diesem sowie der Serie Disce mecum! –, rate ich gerne Lateinstudierenden, zusätzlich zum Übersetzen auch andere Sprachlernmethoden auszuprobieren, die aus der Didaktik moderner Fremdsprachen bekannt sind, aber selten Eingang in den Lateinunterricht finden. 

Es steht trotzdem außer Frage, dass Lateinstudierende viel übersetzen müssen, sowohl in dafür vorgesehenen Lektüreübungen als auch in Seminaren, in denen Dozenten Referate und philologische Diskussionen gerne mal mit Übersetzungsphasen alternieren. Im heutigen Beitrag gebe ich Ihnen ein paar Tipps, um das Meiste aus solchen Übungsphasen holen zu können.

Auf diese eine Sache kommt es an

Um den größten Lerneffekt bei den latenisch-deutschen Übersetzungskursen, die Sie besuchen, erzielen zu können, muss man den Mut finden, auf die Fertigstellung einer gefeilten Übersetzung zu verzichten. Das heißt nicht, dass man unvorbereitet in den Unterricht gehen sollte. Ganz im Gegenteil: Das heißt, dass man so vorbereitet sein sollte, dass man auch ohne eine ausformulierte Übersetzung einen vernünftigen, dem Lateinischen entsprechenden, korrekten deutschen Text im Unterricht mündlich vortragen kann.

Natürlich kann man nicht erwarten, dass man sich jede nachgeschlagene Vokabel oder jede mühevoller entzifferte grammatische Struktur bereits beim zweiten Lesen memoriert und richtig übersetzen kann. Daher ist es ratsam, bei der Vorbereitung den Text mit reichlichen Markierungen und Notizen zu versehen, die bei der erneuten Dekodierung im Unterricht helfen werden.

Den Text nicht komplett zu rekodieren, hat den Vorteil, dass man im Unterricht gezwungen ist, sich wirklich noch einmal mit dem Originaltext auseinanderzusetzen und die Übersetzungsphasen als tatsächliche Übung und nicht bloß als Korrektur wahrzunehmen. Anstatt einen fertigen, womöglich halbvergessenen Text herunterzulesen, müssen Sie Satzbau, Kollokationen, Vokabelbedeutungen, KNG-Bezüge usw. ein zweites Mal durchgehen, um Ihr Ergebnis zu präsentieren. Es gibt kaum eine bessere Übung als das: Das bringt mehr, als noch mehr unbekannte Texte zu übersetzen. Die zusätzliche Wiederholung verfestigt die erworbenen Kenntnisse, bietet eine Revisionsmöglichkeit und sowie die Chance, Vokabeln im Kontext zu wiederholen.

Wie viele Vokabeln man aufschreibt, wie viele und welche Markierungen man verwendet, ob man auch mal einen ganzen Satz aufschreibt, ist natürlich eine persönliche Entscheidung. Ich weiß z. B. für mich, dass ich dadurch, dass ich zwischen zwei Fremdsprachen übersetze (ich bin Italienerin), unglaublich oft Wortfindungsschwierigkeiten habe. Selbst wenn ich sowohl das lateinische als auch das deutsche Wort kenne, passiert mir oft, dass mir die Verbindung nicht gelingen will, gerade in einer Stresssituation. Ich neige aus diesem Grund dazu, mir ziemlich viel aufzuschreiben, was die lexikalische Ebene angeht, wenn ich vor anderen Menschen meine Übersetzung mündlich vortrage. Als ich mich mit der Grammatik nicht sicher fühlte, habe ich auch sehr viel in der Hinsicht markiert, um den Text im Unterricht nochmals verstehen zu können. Jeder muss seinen eigenen Modus finden.

Lassen Sie sich inspirieren

Im Folgenden zeige ich Ihnen die Markierungen, die ich am Anfang des Studiums immer benutzt habe, um dekodierte grammatische Zusammenhänge im Übersetzungskurs erneut nachvollziehen zu können. Fühlen Sie sich frei, „meine“ Markierungen zu übernehmen oder sich eigene auszudenken.

Ein schöner Nebeneffekt: Es tut soooo gut, zurückzublicken und zu sehen, wie die notwendigen Notizen mit der Zeit abgenommen haben und sich irgendwann auf die eine oder andere Vokabel beschränkten. Unbeschreiblich gut.

Aber ad rem! Das Ganze sah bei mir so aus:

  • °AcI°/°NcI°/°bloßer Infitiniv° + Unterstreichen des Kopfverbs
  • [Abl. abs.]
  • KREIS um Konnektoren, v. a. bei Konzinnität (pars … pars …; neque … neque … u. ä.) oder „versteckten“ Subjunktionen, z. B. nachgestelltes cum oder si nach relativischem Satzanschluss
  • unterschiedliche Unterstreichungen für kongruierende Teile einer Nominalphrase (v. a. bei Dichtung!) sowie bei PCs
  • Hinzufügen von mitgedachten is, ea, id (qui vident = ii, qui vident)
  • Pfeile, um Korrelate mit Satzteil mit gleicher Referenz zu verbinden (wie etwa in idcirco, quod …, wo sowohl das Adverb als auch der Nebensatz die Funktion einer kausalen Bestimmung erfüllen)
  • Pfeile, um Attribute zum Kopf der Nominalphrase zu beziehen
  • Bedeutung unbekannter Vokabeln
  • besonders knifflige Formulierungen oder Wortverbindungen
  • bei Bedarf Kasusrektion von Präpositionen und Verben
  • bedeutungsunterscheidende Kürzen- oder Längenstriche (z. B. bei -a oder -is)
  • bei Bedarf Kasusangabe bei doppeldeutigen Wortformen oder Kasusfunktion (z. B. Dativus (in)commodi)

Wie gesagt, muss jeder seinen Weg finden. Ich war noch nie besonders farbenfroh, wenn es ums Lernen geht. Schwarzer Kugelschreiber und Bleistift tun es für mich. Andere kommen sehr gut mit unterschiedlichen bunten Markierungen klar. Außerdem braucht man sich zu dem, was man ohnehin immer sicher auf Anhieb versteht, keine Notizen zu machen. Ich war etwa mit dem PC immer sparsam, weil es im Italienischen meist wörtlich nachgemacht werden kann und für mich keine Schwierigkeit bereitet, während ich NcI und AcI ewig lange angezeigt habe.

So kann es beispielsweise aussehen – ich habe mal zwei Farben benutzt, die eine für die Bedeutungsangaben, die andere für die restlichen Annotationen:

Tacitus, Historiae 3,3-4

Es ist auch interessant zu beobachten, wie sich manche Hilfsmittel durch die Lektüre bestimmter Autoren erübrigen. Nachdem man etwa das Bellum Gallicum gelesen hat, braucht man höchstwahrscheinlich nie wieder Hilfe bei einem Ablativus absolutus, während die Dichtungslektüre durch die nicht lineare Distribution für KNG-Übereinstimmungen das Auge schärft.

Während der Vorbereitung sollte man sich immer auch unbekannte Vokabeln aufschreiben, um sie später wiederholen zu können. Ich bin materialfaul oder, wenn Sie so wollen, minimalistisch unterwegs. Je weniger Zeugs ich verwalten muss, desto glücklicher und lerneffizienter bin ich. Ich habe nur einmal in meinem Leben (erfolglos) versucht, mit Karteikarten zu lernen; Lernapps mochte ich noch nie; irgendwelche anderen Spielereien, die mich vom eigentlichen Thema nur ablenken würden, sind einfach nichts für mich. Aber irgendwie muss man die neuen Vokabeln revidieren, denen man begegnet ist. Auch hier gilt: Jeder muss seinen Weg finden.

Ich persönlich mag dazu gerne selbsterstellte Glossare, die ich in der Regel nach Themen oder Wortfamilien plane. Zusätzlich schreibe ich mir in ein Heft die „verfluchten“ Wörter auf, die ich immer wieder nachschlagen muss. Den ultimativen Kick gibt mir die aktive Sprachverwendung, um neue Wörter zu memorieren.

Finden Sie Ihren favorisierten Weg, das Vokabular auswendig zu lernen!

In der Vorbereitungsphase eines Übersetzungskurses werden Sie vielleicht auch auf das eine oder andere Grammatikthema stoßen, das Ihnen Schwierigkeiten bereitet. Es kann etwas Komplexeres sein wie die oratio obliqua oder etwas ganz Banales wie illi ist Dativ und nicht Genitiv. Nach meiner Erfahrung meistens Zweiteres. Nehmen Sie sich die Zeit, die grammatischen Grundlagen regelmäßig zu wiederholen.

Keine Sorge: Sie sind nicht zu langsam!

Sie haben fleißig gearbeitet, den Text gründlich gelesen und Ihre Übersetzung so vorbereitet, dass Sie sie im Kurs mündlich vortragen können, ohne vorzulesen. Wunderbar! Jetzt lassen Sie sich nicht von der Panik übermannen, dass Sie nicht schnell genug sind und alle auf Sie warten müssen. Ganz im Gegenteil!

Alle Kommilitonen und sicherlich auch der Dozent werden Ihnen dankbar sein, wenn Sie beim Übersetzen überlegen und Stück für Stück vorwärts kommen, denn viel eher als bei einer ausgefeilten Übersetzung zum Runterlesen werden endlich alle wirklich nachvollziehen können, was gemacht wird. Für diejenigen, die Ihnen zuhören, ist es nicht zu langsam:

  • Der Dozent hat die Verantwortung, alles richtig mitzubekommen, zu überprüfen, dass alles übersetzt wurde, und zwar richtig und angemessen; er muss überlegen, inwiefern Sie sich vom lateinischen Text distanziert haben und ob es gerechtfertigt ist, er muss Ihre Lösung morphosyntaktisch analysieren, um sie sinnvoll kommentieren zu können. Das ist auch für geübte Dozenten nicht ohne, wenn Studierende einen fertigen Text bei Lichtgeschwindigkeit herunterbeten.
  • Und die Kommilitonen haben beim Zuhören noch mehr zu tun. Denn sie müssen die eigene Übersetzung mit Ihrer vergleichen, während sie den Originaltext im Auge behalten und noch mal in Erinnerung rufen. Dabei müssen sie sich an ihre Schwierigkeiten beim Übersetzen zurückerinnern oder einfach nur sich im Text noch mal zurecht finden. Je nachdem, wie Sie Ihre Version vortragen, wird dies ein Ding der Unmöglichkeit.

Daher keine Bange! Nehmen Sie sich die Zeit, die Sie brauchen. Nicht nur stört das niemanden, das ist sogar für alle Beteiligten hilfreich.

Jeder Dozent tickt zwar ein bisschen anders, aber ich habe in allen Übersetzungskursen und Seminaren, die ich in der Altphilologie besucht habe, immer eine sehr kollegiale Atmosphäre erlebt. Es war nie schlimm, wenn nicht alles auf Anhieb geklappt hat, man etwas nicht verstanden oder nicht hundertprozentig rekonstruieren konnte. Daher kann ich Ihnen nur ans Herz legen: Probieren Sie’s aus!


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Silvia Ulivi

Humanistin mit einem unstillbaren Faible für Sprachsysteme, Literatur und Unterricht

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