Man sagte mir, der Konjunktiv sei wichtig. Im Nachhinein betrachtet würde ich sagen: Naja…

Der deutsche Konjunktiv. Was ist das? Wozu gibt es ihn? Braucht man ihn wirklich? Warum schwindet er? Wird er immer durch würde ersetzt?

UND: Besteht man darauf, ihn zu verwenden, wie geht das richtig?!

Warum sagt man Konjunktiv I und II?

Verben werden nach Person, Numerus, Modus, Tempus und Genus verbi konjugiert. Der Konjunktiv ist eine verbale Kategorie, nämlich ein Modus.

Sein Kollege Indikativ bietet im Deutschen sechs verschiedene Zeiten (Tempora). Nehmen wir sein als Beispiel:

  • Präsens: ich bin
  • Präteritum: ich war
  • Perfekt: ich bin gewesen
  • Plusquamperfekt: ich war gewesen
  • Futur: ich werde sein
  • Futur II: ich werde gewesen sein

Der Modus Konjunktiv hat parallel dazu ebenfalls Tempora. Dass der Konjunktiv in verschiedenen Tempora seine Erscheinungsformen preisgibt, wird oft übersehen, weil man in der Regel ausgehend von den Funktionen dieses Modus von Konjunktiv I und II spricht. Betrachtet man aber bloß die Verbalform, können wir flexionsmorphologisch genau vier Zeiten im Modus Konjunktiv feststellen:

  • Konjunktiv Präsens
    ich sei
    du sei(e)st
    er/sie/es sei
    wir seien
    ihr seiet
    sie/Sie seien
  • Konjunktiv Präteritum
    ich wäre
    du wärst
    er/sie/es wäre
    wir wären
    ihr wärt
    sie/Sie wären
  • Konjunktiv Perfekt
    ich sei gewesen
    du sei(e)st gewesen
    er/sie/es sei gewesen
    wir seien gewesen
    ihr seiet gewesen
    sie/Sie seien gewesen
  • Konjunktiv Plusquamperfekt
    ich wäre gewesen
    du wärst gewesen
    er/sie/es wäre gewesen
    wir wären gewesen
    ihr wärt gewesen
    sie/Sie wären gewesen

Analogisch haben sich außerdem im Konjunktiv auch zwei Futurzeiten als Teil des Konjunktivs I (also nur für die indirekte Rede) herausgebildet:

  • Futur I: er werde sein
  • Futur II: er werde gewesen sein

Eine weitere Besonderheit stellt die periphrastische Form mit würde dar, die zum Ausdruck von Nachzeitigkeit in der Vergangenheit verwendet wird. Bsp.: Er hatte gesagt, dass er zu uns kommen würde statt kommen werde oder einfach nur komme.

Will man den Fokus auf die Funktionen des Konjunktivs lenken, stellt man schnell fest, dass Konjunktiv Präsens und Perfekt vorwiegend in der indirekten Rede gebraucht werden, während Konjunktiv Präteritum und Plusquamperfekt vor allem in irrealen Bedingungs- und Wunschsätzen Anwendung finden. Aus diesem Grund haben sich die Ausdrücke Konjunktiv I für Präsens, Perfekt, Futur und Konjunktiv II für Präteritum und Plusquamperfekt eingebürgert.
Zwecks der Vereinfachung werden die Termini Konjunktiv I und II also folgendermaßen verwendet, obwohl die Vermengung von Beschreibungsebenen – hier der formalen und der funktionalen – nie ganz unproblematisch ist und zu Unsicherheiten und Zweifelsfällen führen kann:
– Konjunktiv I: vor allem indirekte Rede mit Konjunktiv Präsens und Konjunktiv Perfekt;
– Konjunktiv II: vor allem Irrealis mit Konjunktiv Präteritum und Konjunktiv Plusquamperfekt.

Bildung

Konjunktiv Präsens

Der Konjunktiv Präsens kann sich sprachhistorisch u.a. deswegen nicht lange halten, weil die meisten Formen homonym mit den entsprechenden Indikativformen sind.

IndikativKonjunktiv
ich macheich mache
du machstdu machest
er/sie/es machter/sie/es mache
wir machenwir machen
ihr machtihr machet
sie/Sie machensie/Sie machen

Die meisten Formen sind gleich und daher ungeeignet, einen funktionalen Unterschied zum Ausdruck zu bringen. Die Formen der 2. Person dürften in den Ohren der meisten Sprecher als veraltet gelten. Wahrscheinlich weil sich die Notwendigkeit, die indirekte Rede in der 2. Person als solche morphologisch zu markieren (mit Konjunktiv also), selten ergibt und man ohnehin Ersatzformen zur Verfügung hat, sind diese Verbalformen überflüssig geworden.

Was macht man nun, wenn man deutlich machen will, dass ich mache, wir machen oder sie machen in einem bestimmten Kontext als Konjunktive zu verstehen sind?

Die Regel, die ich vor gefühlt 650 Jahren im DaF-Unterricht gelernt habe, als ich deutsche Sprachwissenschaft in Italien studiert habe, besagte, dass man zur eindeutigen Markierung des Konjunktivs in solchen Fällen Konjunktiv Präteritum statt Präsens nehmen solle. Schauen wir mal, was dann passiert.

Konjunktiv Präteritum

Indikativ PräsensKonjunktiv PräsensIndikativ PräteritumKonjunktiv Präteritum
ich macheich macheich machteich machte
du machstdu machestdu machtestdu machtest
er/sie/es machter/sie/es macheer/sie/es machteer/sie/es machte
wir machenwir machenwir machtenwir machten
ihr machtihr machetihr machtetich machtet
sie/Sie machensie/Sie machensie machtensie/Sie machten

Tja, es ist offensichtlich trotzdem doof, denn die doppeldeutigen Formen haben bei den regelmäßigen Verben nach wie vor Homonyme im Indikativ, jedoch diesmal im entsprechenden Präteritum. Indikativ und Konjunktiv Präteritum der regelmäßigen Verben werden nämlich genau gleich gebildet.

Bei unregelmäßigen Verben funktioniert der Tausch von Konjunktiv Präsens durch Konjunktiv Präteritum im Singular dank der Personalendungen -e/-est besser. Die nicht umlautenden Pluralformen (wir und sie gingen) sind jedoch ebenfalls so mehrdeutig, dass man sie nicht als Konjunktiv versteht.

Indikativ PräsensKonjunktiv PräsensIndikativ PräteritumKonjunktiv Präteritum
ich geheich geheich gingich ginge
du gehstdu gehestdu gingstdu gingest
er/sie/es gehter/sie/es geheer/sie/es ginger/sie/es ginge
wir gehenwir gehenwir gingenwir gingen
ihr gehtihr gehetihr gingtich ginget
sie/Sie gehensie/Sie gehensie/Sie gingensie/Sie gingen

Nur bei Präteritalformen, die ein Trema (Umlautzeichen) zulassen, sieht es mit dem Ersatz von doppeldeutigen Präsensformen durch Konjunktiv Präteritum auch im Plural günstig aus:

Indikativ PräsensKonjunktiv PräsensIndikativ PräteritumKonjunktiv Präteritum
ich habeich habeich hatteich hätte
du hastdu habestdu hattestdu hättest
er/sie/es hater/sie/es geheer/sie/es hatteer/sie/es hätte
wir habenwir gehenwir hattenwir hätten
ihr habtihr gehetihr hattetihr hättet
sie/Sie habensie/Sie gehensie/Sie hattensie/Sie hätten

Nicht nur die umlautbaren starken Verben, sondern auch einige Modalverben bilden den Konjunktiv Präteritum mit dem Umlaut: ich konnte – ich könnte, ich durfte – ich dürfte, ich mochte – ich möchte, ich musste – ich müsste. Allerdings nicht ich sollte – ich sollte und ich wollteich wollte.

Tja, was soll man machen?

Eine mit dem Konjunktiv Präteritum verbundene Schwierigkeit ist auf den allmählichen Schwund von Präteritalformen allgemein zurückzuführen, der selbstverständlich auch diesen Modus betrifft und zur Verbreitung der superpraktischen analytischen Konkurrenz mit würde beiträgt. Ich käme, hielte an, ginge, läse, hörte, machte, tränke, böte… all diese schwierigen und unterschiedlichen Formen, die zum Teil nicht mal eindeutig sind, kann man wunderbar ersetzen durch: ich würde kommen, anhalten, gehen, hören, machen, trinken, bieten. Viel einfacher!

Und man geht dadurch auch unangenehmen Fragen aus dem Weg wie schwämme oder schwömme? Diese Doppelbesetzung und die daraus verständlicherweise entstehende Unsicherheit im Umgang mit den Formen hat sprachhistorische Gründe, die ich vielleicht in einem anderen Artikel vertiefen werde. Es sei an dieser Stelle nur gesagt, dass das Präteritum der starken Verben bis zum Mittelhochdeutschen zwei unterschiedliche Stämme für Singular und Plural hatte. Diese Unterscheidung wurde im Laufe der Zeit zwar analogisch beseitigt, hat aber hie und da ein bisschen Chaos hinterlassen (z.B. er wurde/ward).

Konjunktiv Perfekt

Das konjunktivische Perfekt wird mit dem Präsens der Auxiliarverben sein oder haben und dem Partizip II gebildet. Nehmen wir noch einmal gehen und machen als Beispiel:

gehenmachen
ich sei gegangenich habe gemacht
du seist gegangendu habest gemacht
er/sie/es sei gegangener/sie/es habe gemacht
wir seien gegangenwir haben gemacht
ihr seiet gegangenihr habet gemacht
sie/Sie seien gegangensie/Sie haben gemacht

Wie wir sehen, haben wir aufgrund der homonymen Präsensformen von haben auch im Perfekt das Problem, dass viel zu viele Formen doppeldeutig sind und daher ungeeignet, den Modus klar zu markieren.

Konjunktiv Plusquamperfekt

Das Plusquamperfekt bildet man entsprechend mit dem Konjunktiv Präteritum von sein und haben mit dem Partizip II:

gehenmachen
ich wäre gegangenich hätte gemacht
du wärst gegangendu hättest gemacht
er/sie/es wäre gegangener/sie/es hätte gemacht
wir wären gegangenwir hätten gemacht
ihr wärt gegangenihr hättet gemacht
sie/Sie wären gegangensie/Sie hätten gemacht

Funktionen

Indirekte Rede

Wie oben erwähnt, benutzt man zur morphologischen Markierung einer indirekten Rede, also zur Wiedergabe der Worte anderer Menschen, im Deutschen den Konjunktiv I: Konjunktiv Präsens zur Wiedergabe von indikativischem Präsens, Konjunktiv Perfekt zur Wiedergaben von allen indikativischen Vergangenheitsformen, Konjunktiv Futur für Indikativ Futur.

Versucht man in praktischen Beispielen direkte Reden in indirekte zu verwandeln, merkt man, dass sich viele der Schwierigkeiten insofern erübrigen, dass man ohnehin die 1. und 2. Person in aller Regel in die 3. Person setzen muss. Natürlich kann man den Konjunktiv der indirekte Rede auch in der gesprochenen Sprache verwenden und dadurch auch die 1. und 2. Person gebrauchen, aber in aller Regel gehört der Konjunktiv I ins Reich der geschriebenen Sprache bzw. der konzeptionellen Schriftlichkeit.

Nehmen wir diesen Ausschnitt aus einer Rede von Olaf Scholz:

Vor einem Jahr waren unsere Energiespeicher leer wie selten zuvor. Heute sind sie gefüllt bis zum Anschlag, weil diese Bundesregierung nicht nur redet, sondern handelt und weil wir im Frühjahr zum Glück nicht Ihrem Vorschlag gefolgt sind, die russischen Gaslieferungen praktisch über Nacht abzustellen. Stattdessen haben wir Deutschlands Abhängigkeit von Gas, Öl und Kohle schrittweise beendet, eine Abhängigkeit, die vor einem Jahr beim Gas noch bei 50 Prozent lag.“

In der indirekten Rede sähe der Abschnitt folgendermaßen aus:

2021 seien Deutschlands Energiespeicher leer wie selten zuvor. Heute seien sie gefüllt bis zum Anschlag, weil die Bundesregierung nicht nur rede, sondern handle und weil sie im Frühjahr 2022 zum Glück nicht dem Vorschlag von Friedrich Merz gefolgt sei, die russischen Gaslieferungen praktisch über Nacht abzustellen. Stattdessen habe sie Deutschlands Abhängigkeit von Gas, Öl und Kohle schrittweise beendet, eine Abhängigkeit, die ein Jahr zuvor beim Gas noch bei 50 Prozent gelegen habe.

Irrealis und Potentialis

Mit dem Konjunktiv II – also Präteritum und Plusquamperfekt sowie den periphrastischen Formen mit würde – drücken wir im Deutschen aus, dass wir in der Darstellung das Reich der Fakten verlassen und uns in die Welt der Möglichkeiten, Vorstellungen und Wünsche begeben.

Der Konjunktiv II drückt den Irrealis und den Potentialis aus. Er tritt daher auf:

  • in Bedingungssätzen (Wenn Du da wärst, wäre ich froh.),
  • in Wunschsätzen (Wenn Du doch da wärst!),
  • in Vergleichssätzen (Ich tue so, als ob Du da wärst.)
  • sowie als Höflichkeitsform (Wärst Du so nett, zu mit zu kommen?).

In der sogenannten hypothetischen Periode kommt der Konjunktiv II im Deutschen – im Gegensatz etwa zu den romanischen Sprachen, aber auch zum Englischen – sowohl in der Protasis als auch in der Apodosis vor.

  • Wenn meine Freundin zu mir käme, wäre ich glücklich. (Bedingungssatz: Irrealis der Gegenwart oder Potentialis)
  • Wenn meine Freundin zu mir gekommen wäre, wäre ich glücklich gewesen. (Bedingungssatz: Irrealis der Vergangenheit)
  • Wenn meine Freundin doch zu mir käme! (Wunschsatz: Irrealis der Gegenwart oder Potentialis)
  • Wenn meine Freundin doch zu mir gekommen wäre! (Wunschsatz: Irrealis der Vergangenheit)

Aus diesen Beispielen können wir zweierlei erkennen. Zum einen sehen wir einen der Gründe, weswegen sich bei den konjunktivischen Tempora im Sprachgebrauch eine Vermengung der formalen und funktionalen Ebene ergeben hat: Das Tempus, das wir aus flexionsmorphologischer Sicht Präteritum nennen, drückt funktional etwas Gegenwärtiges aus! Zum anderen sehen wir die Grenzen der deutschen Sprache in der fehlenden Unterscheidung zwischen Irrealis und Potentialis in der Gegenwart.

Was heißt das?

Ein Irrealis – egal, ob Wunsch oder Bedingung, – ist ein Satz, der Unmöglichkeit ausdrückt: Wäre er doch zu uns gekommen! ist ein Irrealis der Vergangenheit: Wir wünschten, dass er zu uns kommen würde, aber der Wunsch blieb unerfüllt.

In der Gegenwart wird die Sache doppeldeutig:

  • Wenn er zu uns käme, wäre ich froh, aber er ist gerade in Argentinien. (Irrealis: Das kann nicht eintreten.)
  • Wenn er zu uns käme, wäre ich froh; hoffentlich schafft er es noch. (Potentialis: Das kann eintreten.)

Das ist der Grund, weswegen ich jedes Mal die Krise bekomme, wenn in einer Arbeitsgruppe jemand ankündigt: „Ich würde das übernehmen.“ – Was denn jetzt? Irrealis oder Potentialis?!

Ich brauche einen Mehr Indikativ auf dem Arbeitsplatz e.V. oder noch besser: Wir fangen alle an, Latein miteinander zu reden:

  • Utinam Latine loqueremur! (Irrealis der Gegenwart)
  • Utinam Latine loquamur! (Potentialis)

Kein Vertun!

Betrachtet man die Bildung der verschiedenen Tempora des Konjunktivs, wundert es nicht, dass sich der sog. Konjunktiv nicht hält:

  • Der Konjunktiv Präsens hat zu viele gemeinsame Formen mit dem Indikativ Präsens.
  • Die Ersatzmöglichkeit durch Konjunktiv Präteritum umschifft das Problem der Homonymie meist nicht.
  • Das Präteritum von regelmäßigen Verben ist im Indikativ und Konjunktiv gleich.
  • Die 2. Person gilt meist bereits als veraltet.
  • Im Perfekt ergeben sich bei Verben mit haben als Auxiliarverb ähnliche Schwierigkeiten wie beim Präsens, was Homonymien angeht.
  • Die periphrastischen Ersatzformen mit würde sind nicht eindeutig, denn sie werden defacto sowohl anstelle vom Konjunktiv Präsens (also als Konjunktiv I) als auch vom Konjunktiv Präteritum (also als Konjunktiv II) verwendet.

Der Konjunktiv I hält sich vorwiegend im journalistischen Stil und daher v.a. in der 3. Person; ansonsten ist es nur bei wenigen Verben üblich (sein, haben, Modalverben und wenig mehr).

Ich würde abschließend sagen, dass nur einige Formen vom sog. Konjunktiv II, also Präteritum und Plusquamperfekt, und die analytische Ersatzformen mit würde langfristig gute Überlebenschancen haben.

Welche Schwierigkeiten haben Sie im Umgang mit dem Konjunktiv?

Jeden Sonntag erscheint ein neuer Artikel auf der Webseite. Bis der nächste herauskommt, könnten Sie auch diese interessieren:




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Silvia Ulivi

Humanistin mit einem unstillbaren Faible für Sprachsysteme, Literatur und Unterricht

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