Fremdwörter lassen beinahe keinen Sprecher kalt. Der eine denkt, sie sind cool, der andere rümpft die Nase. Die einen sprechen ständig Denglisch, während andere indigniert mit lateinstämmigem Vokabular respondieren. Sprachentwicklung? Sprachverfall? Unvermeidlich, unerwünscht oder ganz ok?

Sich Gedanken über die eigene(n) Sprache(n) zu machen, ist schön, aber die Aufregung um Fremdwörter konnte ich nie richtig nachvollziehen. Da diese sich gerade sowieso etwas gelegt zu haben scheint, weil alle mit Gender beschäftigt sind, kann nichts Schlimmes passieren, wenn man jetzt etwas über Entlehnungen schreibt. 😅

Computer, Croissant, Karate … Schon bei einer synchronen Betrachtung der Gegenwartssprache springen viele Fremdwörter englischen oder anderen Ursprungs ins Auge. Eine diachrone Betrachtung des deutschen Wortschatzes ermöglicht es uns jedoch, viel viel mehr Entlehnungen zu entdecken. Ganz viele Wörter, die aus anderen Sprachen ins Deutsche oder in Vorstufen des Deutschen entlehnt wurden, sind schon so lange im Sprachsystem, dass sie wie einheimisches Sprachmaterial Lautwandel durchgemacht haben und nun daher als Fremdwörter gar nicht erkennbar sind. Es bringt daher nicht viel, an Entlehnungen Anstoß zu finden, wenn doch die meisten gar nicht als solche erkennbar sind: Schreiben, Mauer, Rettich stören, glaube ich, niemanden. Sogar Kartoffel ist ein Fremdwort!

Entlehnungstypen

Überall dort, wo Kulturen in Kontakt miteinander treten, findet ein Ideenaustausch statt, der notwendigerweise auch eine Übernahme von Wörtern in die eine und/oder andere Richtung bedingt. In diesen Fällen spricht man von Entlehnungen.

die Entlehnung, -en

„Vorgang und Ergebnis der Übernahme eines sprachlichen Ausdrucks bzw. einer sprachlichen Struktur“ aus einer Sprache in eine andere.

(Bußmann 2008: s. v. Entlehnung.)

Aus dieser Definition wird deutlich, dass Entlehungen nicht nur auf der lexikalischen Ebene wirken, sondern auch auf anderen sprachlichen Ebenen stattfinden können. Heute sprechen wir jedoch spezifisch von Lehnwörtern, um zu zeigen, dass Fremdwort nicht gleich Fremdwort ist und dass es verschiedene Typen von Entlehnungen gibt.

In einem Aufsatz aus dem Jahre 1959 hat Betz verschiedene Entlehnungstypen beschrieben, nach folgendem Schema:

Entlehnungstypen nach Betz

Um die Unterschiede zwischen den verschiedenen Typen am einfachsten verstehen zu können, lohnt es sich, Saussures Beschreibung sprachlicher Zeichen als doppelseitiger Einheiten bestehend aus signifiant (Ausdrucksseite, Lautgestalt) und signifié (Inhaltsseite, Bedeutungsvorstellung) in Erinnerung zu rufen.

Auf der linken Seite der Graphik sind die Lehn- oder Fremdwörter, bei denen ein Zeichen inkl. signifiant und signifié entlehnt wird. Das ganze Zeichen wird übernommen, wie bei Computer: Es wurden sowohl die Lautgestalt als auch die Bedeutung übernommen.

Wörter, die neu als Fremdwörter in eine Sprache aufgenommen werden, behalten mehr oder minder ihre ursprüngliche Lautgestalt und hören sich entsprechend fremd an. Sie sind zunächst nicht assimiliert. Bei der Lautgestalt von einem Wort wie Croissant ist es bspw. klar, dass es sich nicht um ein ursprünglich einheimisches Wort handelt. Wenn Fremdwörter endgültig in ein Sprachsystem aufgenommen werden, und zwar dadurch, dass sie nicht von einzelnen Menschen benutzt, sondern durch häufigen Gebrauch usuell werden, werden sie jedoch wie einheimisches Material behandelt und sind von den Wandeln des Sprachsystems betroffen. Ist ein Wort also lange genug in einem Sprachsystem, wird es wie das restliche Sprachmaterial von Sprach- und insbesondere Lautwandeln betroffen, sodass es irgendwann assimiliert ist, d. h. in dem Maße integriert, dass es ohne sprachhistorische Überlegungen gar nicht mehr als Fremdwort erkennbar ist, wie Pfütze oder Kelch.

Die Unterscheidung zwischen assimiliertem und nicht assimiliertem Fremdwort sind nicht trennscharf, sondern es handelt sich vielmehr um ein Kontinuum. Schließlich wird wahrscheinlich kein Fremdwort im Deutschen genau so ausgesprochen, wie es in der Gebersprache ausgesprochen war. Wahrlich nicht-assimilierte Wörter gibt es in diesem Sinne wohl keine, denn es findet immer eine Anpassung an den muttersprachlichen Lautstand sowie die gegebenen lautkombinatorischen Einschränkungen statt; trotzdem spricht man von nicht-assimiliert in den Fällen, in denen Lehnwörter keine Lautwandel mitgemacht haben. Gerade wenn englische Fremdwörter neu in die Sprache aufgenommen werden, neigen deutsche Sprecher bspw. dazu, die ursprüngliche Aussprache so gut, wie es geht, beizubehalten.

Beispiele für assimilierte Fremdwörter: Fenster, Mauer, Kampf, Strike
Beispiele für nicht-assimilierte Fremdwörter: Bluetooth, Flirt, Courage

An der Aussprache der nicht-assimilierten Beispiele erkennen wir, dass Sprecher auch bei den Entlehnungen den phonetisch-phonologischen Einschränkungen ihres jeweiligen Sprachsystems folgen. So spricht man den Auslaut von Courage nicht [ʒ] aus, sondern entweder [ʒə] oder – v. a. im süddeutschen Sprachraum – [ʃ].

Die Termini Lehnwort und Fremdwort

Im Umgang mit diesen beiden Termini ist etwas Vorsicht geboten, weil sie von unterschiedlichen Autoren anders definiert werden.
Manche Autoren schreiben Lehnwort statt assimiliertem Fremdwort und Fremdwort statt nicht-assimiliertem Fremdwort.
Lehnwort ist für manche Hyperonym von assimiliertem und nicht-assimiliertem Fremdwort, bei anderen kann es aber auch Synonym von Entlehnung allgemein sein.

Achten Sie bei der Lektüre von Fachliteratur ganz besonders darauf, wie diese Termini jeweils verwendet werden!

Folgt man in der Graphik dem Pfeil nach rechts, findet man die Lehnprägung. Bei Lehnprägungen werden nicht gleichzeitig signifié und signifiant übernommen, sondern die Entlehnung erfolgt unter semantischem oder konstruktionellem Aspekt.

Bei der Lehnbedeutung übernimmt ein einheimisches signifiant ein fremdes signifié. Anders formuliert: Ein bereits bestehendes Wort in einer Sprache erfährt eine Bedeutungsveränderung oder übernimmt eine neue Denotation, und zwar unter fremdem Einfluss. Die Lehnbedeutung ist also eine Entlehnung unter dem semantischen Aspekt.

Beispiel für Lehnbedeutung: Held ‚tapferer Kämpfer‘ übernimmt in Anlehnung an engl. hero die Bedeutung ‚Protagonist eines literarischen Werks‘.

Anders als bei der Lehnbedeutung ist die Lehnbildung eine Entlehnung unter konstruktionellem Aspekt: Ein neues signifiant wird unter fremden Einfluss mit einheimischen Wortbildungsmitteln gebildet.

Dabei ist im Falle der Lehnformung eine direkte Übersetzung erkennbar, während die Lehnschöpfung eine freier entstehende Neubildung ist, die aber jedenfalls unter Einfluss eines Wortes aus der Kontaktkultur entsteht.

Beispiel von Lehnschöpfung: Zartgefühl ← frz. délicatesse

Unter den Lehnformungen unterscheidet man schließlich die Lehnübersetzung, bei der eine 1-zu-1-Übersetzung jedes Allomorphs der Neubildung erkennbar ist, von der Lehnübertragung, die nur teilweise ein Wort aus der Gebersprache wörtlich übersetzt.

Beispiele von Lehnübersetzungen: Wohltat < ahd. wolatât ← lat. beneficium; Rechtschreibung ← griech.-lat. orthographia (s. agr. ὀρθός ‚richtig‘ und γράφειν ’schreiben‘, ‚zeichnen‘).

Beispiel von Lehnübertragung: Wolkenkratzer ← ne. skyscraper

Zu dieser Schnittstelle zwischen Entlehnung und Wortbildung ist anzumerken, dass in aller Regel keine Affixe (Präfixe oder Suffixe), sondern nur ganze Wörter entlehnt werden. Wird jedoch eine größere Anzahl an Wörtern mit gleichem Affix übernommen, können analogisch Neubildungen mit dem fremden Element entstehen. Das ist etwa der Fall beim Verbalsuffix -ieren, das so oft in Fremdwörtern wie korrigieren, maskieren usw. zu finden war, dass es auch in Wortbildungen mit deutscher Basis verwendet wurde (und noch produktiv ist), wie in hofieren oder buchstabieren.

Hier finden Sie eine Legende aller Abkürzungen und Symbole.

Entlehnungswellen

So, wie wir heute den starken Einfluss des Englischen erleben, sind in Zeiten des intensiven Kontakts mit einer wirkungsreichen Kultur immer wieder wellenartig ganz viele Entlehnungen auf einmal entstanden. In der deutschen Geschichte und Vorgeschichte können folgende Entlehnungswellen festgelegt werden. (Vgl. §12 dieser sehr hilfreichen Zusammenfassung für den Einführungskurs in die historische Sprachwissenschaft von Dr. Stefan Müller.)

Entlehnungswellen in der deutschen (Vor-)Geschichte:

  • Erste lateinische Welle (ins Vorahd.)
    Die Entlehnungen aus dem Lateinischen während der Römerzeit betreffen verschiedene Bereiche, in denen die südliche Kultur das bessere Know-How besaß wie Verwaltung und Architektur.
    Brief < ahd. briaf < vorahd. ← lat. brevis (libellus)
    Straße < ahd. strâʒa < ger. ← spätlat. strata < lat. (via) strata

  • Zweite lateinische Welle (ins Ahd.)
    Die Entlehnungen aus dem Mittellateinischen ergaben sich wegen der zentralen Rolle dieser Sprache für Kirche, Verwaltung, Rechtswesen, Literatur und Wissenschaft.
    Tinte < ahd. tincta ← mlat. tincta (aqua)
    Nonne < ahd. nunna ← kirchenlat. nonna ‚Nonne‘ (spätlat. ‚Amme‘, ‚Kinderwärterin‘)

  • Erste französische Welle (ins Mhd.)
    Die im Mittelalter aus dem Französischen entlehnten Wörter haben mit der höfischen Ritterkultur zu tun.
    Prinz < mhd. prinze ← afrz. prince
    mhd. tjoste ‚Zweikampf mit dem Speer‘ < mfrz. jouste < lat. iuxta

  • Dritte lateinische Welle (ins Frnhd.)
    Trotz der allmählichen Ausbreitung der Volkssprachen auf zunehmend viele Lebensbereiche bleibt das Neulatein in der Renaissance Sprache der Wissenschaft und Literatur. Entlehnungen aus dieser Zeit umfassen vorwiegend fachsprachliche Terminologie.
    Orthographie (s. o.)
    Subjekt ← lat. subiectum (PPP von subicere)

  • Zweite französische Welle (ins Frnhd. und Nhd.)
    Die Wörter, die zur Zeit des Barock und Rokoko aus dem Französischen entlehnt wurden, decken verschiedene Lebensbereiche, wie Transport, Kleidung und Kulinarik.
    Parfum ← frz. parfum
    Sofa ← frz. sofa
  • Angloamerikanische Welle (ins Gegenwartsdeutsche)
    Beststeller ← ne. beststeller
    downloaden ← ne. download

Selbstverständlich existieren auch unabhängig von diesen großen Wellen Entlehnungen aus den genannten und weiteren Sprachen. So sind beispielsweise während der dritten lateinischen Welle auch viele Fachtermini griechischen Ursprungs entstanden, teils direkt aus dem Altgriechischen teils mittelbar durch das Lateinische übernommen. Historisch bedingt sind zahlreich die Entlehnungen aus dem Italienischen etwa in den Bereichen Bankwesen (Konto, brutto, Valuta), Musik (andante, allegro, Capodaster), Malerei (Fresko, Madonna, Aquarell), Kulinarik (Cappuccino, Rucola, al dente). Was die Küche angeht, gibt es Entlehnungen aus vielen Sprachen, sobald bestimmte Gerichte oder Zutaten entfernter Länder auch bei uns bekannt werden, etwa aus dem Japanischen: Soja, Wasabi, Sushi, Sashimi, Tofu usw.

Warum eigentlich entlehnen?

Wie eingangs bereits gesagt, führt der enge Kontakt zweier Kulturen immer zu einer Übernahme fremdsprachlichen Materials in die eine und/oder andere Richtung. Insbesondere ist es das kultiviertere Volk, das zusammen mit neuen Ideen, Technologien, Verwaltungsmöglichkeiten u. ä. das entsprechende Vokabular oder ein Muster zur Erweiterung des einheimischen Wortschatzes bietet. Je nach politischen Verhältnissen kann diese (eingeschränkte) Zweisprachigkeit sogar zur Verdrängung der ursprünglichen Sprache führen. (Hier kommen Strata-Forschung, Pidgin- und Kreolsprachen usw. ins Spiel, die genug Stoff für einen separaten Beitrag bieten und ich hier ausklammern möchte.)

Der erste Grund, weswegen Wörter entlehnt werden, ist also das Bedürfnis: Man möchte über etwas Neues sprechen, wofür es im Sprachsystem noch keine Bezeichnung gibt.

Auch den zweiten Grund haben wir bereits gesehen, als ich eben auf die japanische Küche zu sprechen kam. Hermann Paul nennt ihn die „Darstellung fremder Verhältnisse“ (Paul 1995: 392).

Die Entlehnung bietet eine Möglichkeit, den einheimischen Wortschatz zu erweitern. Die andere Möglichkeit, die – wie wir bei der Lehnbildung bereits gesehen haben – sich mit Entlehnungsprozessen durchaus überlappen kann, ist die Wortbildung.

Das war’s für heute meinerseits. Wenn Sie Fragen zur deutschen Grammatik oder zu sprachwissenschaftlichen Themen haben, schreiben Sie mich gerne an!

Jeden Sonntag erscheint ein neuer Artikel auf der Webseite. Bis der nächste herauskommt, könnten Sie auch diese Artikel interessieren:



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Bibliographie

  • Betz, W. (1959): Lehnbildungen und Lehnwörter im Vor- und Frühdeutschen. In: Maurer, K. / Stroh, F. (Hgg.): Deutsche Wortgeschichte, Berlin, S. 127–147.
  • Bußmann, H. (20084): Lexikon der Sprachwissenschaft, Stuttgart.
  • Eisenberg, P. (20183): Das Fremdwort im Deutschen, Berlin/Boston.
  • Lexer, M.: Mittelhochdeutsches Handwörterbuch. Unter www.woerterbuchnetz.de digital aufrufbar.
  • Müller, S.: Einführung in die germanistische Linguistik, historisch – Zusammenfassung, mit einem Beitrag von Ulivi, S.
  • Paul, H. (1995): Prinzipien der Sprachgeschichte. Tübingen. (insbesondere Kap. 22 Sprachmischung)
  • Pfeifer, W. (1993): Etymologisches Wörterbuch des Deutschen. Unter www.dwds.de digital aufrufbar.
  • de Saussure, F. (1915/1969): Cours de linguistique générale. Paris.
  • Schmid, H. U. (2009): Einführung in die deutsche Sprachgeschichte. Stuttgart/Weimar.

Silvia Ulivi

Humanistin mit einem unstillbaren Faible für Sprachsysteme, Literatur und Unterricht

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