Das Wunder der Kindheit
Wenn man Kinder alltäglich beim Wachsen beobachten darf, kann man über ihr Durchhaltevermögen nur staunen. Egal, was sie lernen wollen, sie versuchen und versuchen und versuchen unaufhörlich. Wollen Babys greifen, sitzen, stehen, laufen lernen, probieren sie kontinuierlich in so unentwegtem wie bewundernswertem Einsatz… und sie scheitern und scheitern und scheitern und scheitern. Sobald sie vom Schläfchen aufwachen, fangen sie wieder da an, wo sie aufgehört hatten, und egal, wie oft sie daneben greifen, umkippen, stürzen und umfallen, sie versuchen einfach immer weiter und immer weiter, bis sie endlich den ersehnten Gegenstadt in der Hand halten, bis sie sitzen, bis sie’s auf zwei Beine geschafft haben, bis sie ihren ersten Schritt gegangen sind. Je mehr sie scheitern, desto mehr beharren sie auf das Ziel, das sie sich gesetzt haben. Und wenn der Augenblick kommt, an dem sie das Ziel endlich erreichen, strahlen sie so überglücklich und selbstgefällig, dass es ansteckend ist und man sie nur hochleben lassen kann!
Wo bleibt unser Mut?
Das Durchhaltevermögen ist mir dankenswerterweise nie verloren gegangen. Den unermesslichen Mut von Kleinkindern habe ich jedoch schon längst nicht mehr.
Denn irgendwann lernen wir, dass es nicht reicht, etwas zu machen. Man soll es auch GUT machen. Und manchen reicht es auch nicht, etwas gut zu machen: Es soll SO GUT WIE MÖGLICH werden. Und anderen wiederum reicht es nicht, wenn es möglichst gut wird: Es soll PERFEKT sein!
Ist Perfektionismus schlecht?
Es gibt absolut nichts Verwerfliches daran, sein Bestes zu geben, mit Genauigkeit zu arbeiten oder nach Exzellenz zu streben. Ganz im Gegenteil.
Wie wird Perfektionismus, das Streben nach Vollkommenheit, überhaupt zum Problem?
Das Problem entsteht, wenn wir im Streben nach Vollkommenheit dermaßen verkrampfen, dass wir nicht fortschreiten. Wir hören auf zu versuchen. Wir hören auf zu scheitern. Wir hören auf voranzukommen. Wenn Babys Angst hätten umzukippen, wären Menschen keine Zweibeiner.
Ich bringe ein Beispiel aus der Fremdsprachendidaktik an.
Es gibt in meinen Augen – ganz grob gesprochen – zwei Kategorien von Sprachenlernern: die, die kommunizieren wollen, und die, die keine Fehler machen wollen. Diejenigen, die Kommunikation in den Vordergrund stellen, nehmen Fehler in Kauf, verlassen sich auf ihre Fähigkeiten und achten weniger auf die Sprachrichtigkeit zugunsten des Redeflusses. Diejenigen dagegen (und zu diesen gehöre auch ich), die eine fehlerfreie Produktion in den Vordergrund stellen, sind zwar meist metasprachlich aufmerksamer, neigen aber dazu, sicherheitshalber einfachere Strukturen zu verwenden, und sind – im extremen Fall – unglückliche Vertreter des fehlerfreien Schweigens.
Will man im Fremdsprachenunterricht keine Fehler machen, spricht man weniger, also übt man weniger. Hat man doch den Mut gesammelt, sich aufs Spiel zu setzen, grübelt man minutenlang über ein Sätzchen, das man dann aus lauter Aufregung auch noch falsch sagt, obwohl man es besser gewusst hätte, und bis man sich diesen Doch-so-blöden-wie-konnte-ich-nur-Fehler verziehen hat und man wieder bereit ist, den Mund aufzubekommen, vergehen zwei-drei Sitzungen.
Ich übertreibe nicht.
Ist das Ziel machen, reicht ein Blick auf die Turnschuhe: Just do it.
Ist das Ziel gut machen, fängt man schon an, sich Gedanken zu machen, bevor man versucht.
Ist das Ziel so gut wie möglich machen, werden die Hemmungen groß, denn nur das Maximum ist genug.
Ist das Ziel perfekt machen, liegt es bereits jenseits des möglichst Guten, sprich: Da braucht man gar nicht anzufangen.
Ich glaube, man ist in guter und zahlreicher Gesellschaft, wenn man Angst vor Fehlern, Angst vorm Versagen, Angst vor Bloßstellung hat, kurzum: Angst, nicht genug zu sein. Man macht sich ständig vor, man müsse etwas beweisen. Man macht sich vor, die eigene Leistung sei doch unglaublich wichtig. Man macht sich vor, Fehler seien unverzeihlich. Man macht sich vor, man wolle ja nur alles richtig machen. Verschleiern wir nicht allzu oft unsere Furcht unter einer guten Schicht hochmutigen Perfektionismus? Ich will es doch gut machen hört sich unendlich viel besser an als ich habe Angst zu scheitern, aber wie Seneca lehrt, kann sich auch in den Kummer ein gewisser Hochmut einschleichen.
Wir brauchen aber keine Perfektion, um voranzukommen. Auch kein Streben nach Perfektion. Wir sehen an Babys, was wir brauchen, um riesige Fortschritte zu machen: den Mut, wiederholt zu scheitern, bis der nächste Schritt klappt. Nicht der perfekte Schritt, nur der nächste.
Sonst passiert so was:
- Wie ich in meinem Ausblick nach einem Jahr Bloggen kurz erwähnt habe, ist Spanisch zu meinem guilty pleasure geworden: Ich brauche es nicht, ich habe keine Zeit dafür, also lerne ich das jetzt! Ich verstehe ohnehin schon sehr viel und lese nun immer wieder mal ein Kapitel aus einem uralten Spanischbuch. Irgendwie hat sich die Tage ergeben, dass ich jemandem etwas auf Spanisch hätte sagen können und tatsächlich gewusst hätte wie. Und was sagt mir mein Hirn?! „Pass auf! Du sprichst immer eine phonotaktische Verlängerung nach der Präposition a aus. Dann hören sie sofort, dass du Italienerin bist.“ WIRKLICH, Hirn?! Nach sagenhaften DREI WOCHEN Spanisch ist DAS dein Problem?! Sei doch froh, dass du überhaupt was sagen kannst, verstanden hast und die Frage beantworten könntest. Stattdessen: Schweigen und Reue. 🙄
Man hätte einfach mal machen können. Wäre es schlecht?
Wie groß ist die Hemmung, den ersten Satz eines Aufsatzes, eines Buchs, einer Hausarbeit zu schreiben? Kein Gedanke ist ausgereift genug. Alles erscheint uns doof und fade. Wäre der Gedanke nicht unreif, wäre das Werk nicht schon fertig?
Eine einfache Übung und was ich daraus gelernt habe
Bevor es zur Übung geht, empfehle ich diese geniale Video von Najeeb Tarazi, um den Mut zum Fehler wieder zu entdecken:
Meine Übung gegen Perfektionismus
Jeder trägt sein Päckchen mit mehr oder weniger Würde – fortitudo custos dignitatis (Cic. Tusc. 2.33) –, aber schließlich kann man sich jederzeit entscheiden, anders zu handeln, als die eigenen Glaubenssätze es einem vorzuschreiben scheinen. Will man lernen und vorankommen, muss man nach Mitteln und Wegen suchen, sich mit dem Scheitern noch einmal anfreunden.
Ich habe diese einfache Übung für mich entdeckt, die mir gerade dabei hilft.
Ich habe angefangen zu zeichnen. Ohne Vorkenntnisse. Ohne Kurs. Ohne alles. Ich versuche, so zu zeichnen, wie ich als Kind gezeichnet habe.
Ich zeichne mit einem Feinleiner, keinen Bleistift, um zu lernen, mit der Unvermeidlichkeit von Fehlern umzugehen. Da Zeichnen etwas ist, was ich nicht gut kann, mache ich selbstverständlich reichlich Fehler und alles sieht ziemlich wonky aus. Trotzdem mache ich weiter und versuche dabei, auf die negativen Stimmen, die kommen, zu hören.
Der erste Strich stellt immer die größte Überwindung dar:
- „Ich weiß nicht, was ich tue.“
- „Ich habe keine Ahnung, was ich zeichnen soll, geschweige denn wie.“
- „Bestimmt wird nichts draus.“
- „Was soll das bitte noch mal bringen?!“
- „Sollte ich nicht lieber etwas Nützliches machen?“
- …
Antwort: „Danke für die Hinweise. Ich versuche es jetzt. Es muss nicht gut sein, es muss nur sein.“
Bei zweiten Strich:
- „Ich habe es schon verkackt.“
- „Es ist schon alles schräg und schief.“
- „War ja klar…“
- „Lass das sein.“
- „Ich habe keine Ahnung, was ich tue.“
- …
Antwort: „Danke für die Hinweise. Lass uns weitermachen, denn ich kann noch nicht wissen, was daraus wird. Es muss nicht gut sein, es muss nur sein.“
Und so geht es eine ganze Weile weiter. Ich versuche, diese Stimmen gleichzeitig wahrzunehmen und doch nicht zu beachten, wenn sie mir gerade nur im Weg stehen. Diese Stimmen schützen uns vor Blamage und Dummheiten, sind aber leider oft zu laut und viel zu harsch und lassen keine Widerreden zu.
Wenn ich weiter zeichne, passiert irgendwann ein Wunder: ein (halbwegs) positives Stimmchen!
- „Ach, das sieht jetzt doch gar nicht sooo schlecht aus.“
- „Dafür, dass ich keine Ahnung habe, was ich tue, erkennt man schon, was das ist.“
- „Insgesamt nicht toll, aber dieser eine Gegenstand ist schon ganz hübsch.“
- „Ich habe hier einen Fehler gemacht, aber ich habe eine Idee, wie ich es nächstes Mal anders machen würde.“
- …
10 Dinge, die daraus gelernt habe
1) Es kommt immer etwas dabei herum.
… vorausgesetzt, man führt es zu Ende.
Wenn ich anfange, bin ich immer der Überzeugung, dass ich eh enttäuscht sein werde. Deswegen hilft mir das Mantra Es muss nicht gut sein. Es muss nur sein. Das Ziel ist es, irgendein Bild mit einem Fineliner auf Papier zu bringen. Mehr nicht. Das schaffe ich.
Am Ende ist das Ergebnis immer ein erkennbares Bild. Es kommt immer etwas dabei rum, wenn man weitermacht und die Dinge beendet, die man angefangen hat. Mögen die Aussichten zwischendurch im Prozess auch mal schlecht aussehen, ist das im etymologischen Sinne perfekte Ergebnis (< perficere ‚vollenden‘, ‚zu Ende bringen‘) lohnenswert.
2) Das Ergebnis ist meist besser, als man es für möglich gehalten hätte.
Beim Zeichnen, aber sonst auch, wenn ich mich bei einer Sache bemühe, sehen die Ergebnisse in aller Regel am Ende besser aus, als ich für möglich gehalten hätte.
3) Ein schlechtes Bild ist schöner als ein leeres Blatt.
Ein OK-Ergebnis ist besser als gar kein Ergebnis und es macht mich glücklicher, ein schlechtes Bild gezeichnet zu haben, als ein leeres Blatt zu besitzen. Es fällt mir schwer, das zuzugeben, aber das musste ich feststellen.
4) Jede Versuch ist etwas wert.
Auch in den hässlichsten Bildern, die ich zeichne, kann ich Einzelheiten entdecken, die ich mag. Es passiert nie, dass ich mit rein gar nichts zufrieden bin. Das bedeutet, dass jeder Versuch etwas wert ist. Auch gescheiterte Versuche haben etwas Schönes an sich.
Hier mag ich die zwei Blumenreihen:
5) Fehler machen kreativ.
Oft passiert, dass ich beim Zeichnen einen Fehler mache, und gerade dadurch, dass ich etwas ausprobiert habe und schwarz auf weiß sehe, wo der Fehler genau liegt, gleich Ideen bekomme, was ich beim nächsten Mal anders machen würde. Ich habe DANK des Fehlers Lust, neue Lösungsansätze auszuprobieren. Mir kommen DANK des Fehlers neue Ideen. Fehler machen kreativ! 🤯
In diesem Bild sollen die Töpfe auf einem Tisch stehen. Nein, das ist kein Boden, wie man an den rosernen Kinderfingern, die sich an der Tischkante festhalten, erkennen soll, aber nicht tut:
Vom nächsten Tisch habe ich auch eine Ecke gezeichnet, sodass er gleich viel deutlicher zu erkennen war:
Das Bild ist übrigens offensichtlich entstanden, während ich die Tusculanae disputationes gelesen habe.
6) Es bedarf eines quantitativen Ziels, um ein qualitatives zu erreichen.
Hätte ich mir vorgenommen, ein schönes Bild zu zeichnen, hätte ich wahrscheinlich nie angefangen. Zeichnet man aber viele Bilder, findet man in der großen Quantität auch qualitative Ergebnisse.
Es ist wie mit diesem Blog. Jede Woche veröffentliche ich einen Artikel und es ist mir völlig klar, dass sie qualitativ nicht alle gleichwertig sind. Wirklich lesenswert erscheinen mir recht wenige, und doch wäre diese kleine Auslese nie entstanden, wenn ich den Rest nicht zugelassen hätte.
Lesen Sie mehr dazu in Happy Birthday, lieber Blog!
7) Fortschritt ist nicht linear.
Repetitio mater studiorum, ja, aber Fortschritt ist nicht linear.
Übt man eine Sache lange und fleißig, ist Fortschritt unausweichlich. Trotzdem kommen Verbesserung oft ruckartig und nach kleinen Regressionsphasen.
Das sieht man bei Babys kognitiv bedingt ganz extrem. Wenn eine schwierige Phase kommt, in der sie alles verlernt zu haben scheinen und plötzlich wieder nur noch gestillt und getragen werden wollen, rückt der nächste Wachstumsschub näher. Ist er geschafft, sind die Kinder nicht mehr zu erkennen: Sie können plötzlich unglaublich viel Neues, sind selbstständiger und selbstsicherer.
Wenn wir üben, können wir nicht erwarten, dass der nächste Versuch immer ein Stückchen besser als der vorherige ist. Manchmal klappt es gut und das nächste Mal kann es wieder weniger gut klappen. Über einen längeren Zeitraum betrachtet, ist der Fortschritt eindeutig erkennbar, aber eben nicht so:
sondern so:
Das letzte Ergebnis sollte den nächsten Versuch nicht beeinflussen. Wenn wir einmal verbockt haben, sagt das nichts über unseren nächsten Versuch, für den auch gilt: Es muss nicht gut sein. Es muss nur sein. Wiederum sollte man sich aber auch nach einem guten Ergebnis nicht unnötig unter Druck setzen, weil auch das nächste unbedingt so gut sein soll.
Diese ist nämlich die todsichere Methode, um zu verkrampfen und sich im Weg zu stehen: Von einem solchen Perfektionismus erzielt man nicht bessere Ergebnisse.
8) Selbstwahrnehmung und Fremdwahrnehmung sind zwei verschiedene Paar Schuhe.
Ich kann mit diesem Bild nicht viel anfangen. Meine Tochter findet es toll und ich… möchte mich mal nicht dagegen wehren.
Wir sind manchmal so selbstkritisch, dass wir nicht einmal zulassen können, dass jemand genau das an unserer Arbeit (oder unserem Wesen) mag, womit wir nicht klar kommen. Wir können kein Kompliment annehmen und reden uns schlecht, um unsere Mitmenschen von der Wertlosigkeit unseres Ergebnisses zu überzeugen. Ich weiß, dass ich mit diesem Verhalten nicht alleine bin, aber das macht es nicht weniger bescheuert.
Bei einem Kompliment ist Dankeschön! eine völlig akzeptable Antwort.
9) Es macht Spaß.
Straightforward. Ich zeichne gerne und es macht mir Spaß.
10) Es muss nicht gut sein. Es muss nur sein.
Was würde passieren, wenn wir das Mantra Es muss nicht gut sein. Es muss nur sein. auf Gebiete übertragen könnten, die uns am Herzen liegen und für die wir Talent und Vorkenntnisse mitbringen?
Wir würden mehr schaffen.
Wir hätten weniger Angst.
Wir wären weniger perfektionistisch und hätten gerade deswegen bessere Ergebnisse.
Wir würden mehr ausprobieren.
Wir hätten mehr Ideen.
Wir wären stolz auf einige Leistungen.
Wir könnten akzeptieren, wenn andere uns mehr mögen, als wir uns selbst.
Welches Projekt auch immer Sie gerade pflegen oder anzufangen gedenken, machen Sie, schaffen Sie, führen Sie es zu Ende! Denn:
- Es kommt immer etwas dabei herum.
- Das Ergebnis ist meist besser, als man es für möglich gehalten hätte.
- Ein schlechtes Bild ist schöner als ein leeres Blatt.
- Jeder Versuch ist etwas wert.
- Fehler machen kreativ.
- Es bedarf eines quantitativen Ziels, um ein qualitatives zu erreichen.
- Fortschritt ist nicht linear.
- Selbstwahrnehmung und Fremdwahrnehmung sind zwei verschiedene Paar Schuhe.
- Es macht Spaß.
- Es muss nicht gut sein. Es muss nur sein.
Ich muss immer wieder staunen, wieviel mir meine Tochter beibringt. Grazie.
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2 Kommentare
Alixa · 30. Oktober 2022 um 15:09
Rem acu tetigisti, Silvia!
Ego quoque teneor illo morbo, quem tam accurate descripsisti. Et mihi videor deprehensa in manifesto scelere: _Numquam_ utor isto genere stilorum, quorum colores non iam possunt amoveri si peccavimus. Sed fortasse iuvat. Conabor!
Symbola tua me monet de schola quadam quam audivi in ludo litterario. Non agebatur de perfectionismo q.d., immo, erat schola religionis in gradu secundo vel tertio. Inter tales scholas magistra nostra, Jana Ringholz (quam bona pace appellabamus „Ringi“) solebat recitare ex scripturis sacris. Nos discipuli pinximus magistra recitante. Et quamquam ego non credebam ullum esse deum, quid poterat mihi esse iucundius quam pingere et simul audire fabellas?
Quodam die, magistra recitavit fabulam de filio prodigo. Scilicet, non intellexi omnia, sed intellexi esse duos pueros, quorum alter esset probus et sedulus, alter improbus et ignavus. Et, fateor: Filii me monebant de sorore et de me. Sorori non placebat ludus, saepe non fecit pensa domestica et etiam me mordebat. Etsi in universum erat proba, illis temporibus mihi videbar longe probior.
Tandem magistra recitavit hanc partem: „Erat autem filius eius senior in agro et cum veniret et adpropinquaret domui audivit symphoniam et chorum. Et vocavit unum de servis et interrogavit ‚quae haec essent‘. Isque dixit illi: „Frater tuus venit, et occidit pater tuus vitulum saginatum, quia salvum illum recepit.“ Indignatus est autem et nolebat introire. Pater ergo illius egressus coepit rogare illum. At ille respondens dixit patri suo: „Ecce tot annis servio tibi et numquam mandatum tuum praeterii et numquam dedisti mihi hedum ut cum amicis meis epularer. Sed postquam filius tuus hic, qui devoravit substantiam suam cum meretricibus, venit, occidisti illi vitulum saginatum!“ (Lc 15, 25-30).
Et ipsa indignabar! Curnam ille filius, qui omnia bene agit (ut ipsa volebam bene agere), ne hedum quidem accepit, sed alter, qui peccavit, accipit tam multa eaque optima?
„At ipse dixit illi: „Fili, tu semper mecum es et omnia mea tua sunt. Epulari autem et gaudere oportebat, quia frater tuus hic mortuus erat et revixit! Perierat et inventus est!“ (Lc 15, 31-32)
Hac sententia audita me pudebat talia cogitasse. Nam scilicet caput erat sororem esse vivam, esse salvam, esse mecum. Germanulae mean semper eram coniunctissimae, eramus sorores unanimae, ut dicuntur esse Dido et Anna (speramus fore ut dii meliorem finem dent nobis) – sed fateor me nonnumquam invidisse ei (et aliis).
Hucusque haec fabula me monebat, ne inviderem aliis (praesertim non meis 🙂 ). Sed inest quodam modo etiam id quod dixisti tu, Silvia: Es muss nicht gut sein. Es muss nur sein. Caput est, ut adsit (frater, pictura, sententia Hispanica, fabella Latine conscripta…). Deinde, si fuerimus patientes, multa possunt fieri. Sed nisi quid adest, nihil fieri potest 🙂
Silvia Ulivi · 20. Januar 2023 um 20:53
Gratias tibi ago plurimas, cara Alixa, quod pulcherrime litteris mandavisti cogitationes tuas de hac symbola! Quamquam iam diu tibi respondere volueram, tamen sperans aliquid sermone tuo digni in mentem mihi esse venturum iterum iterumque in proximum diem distuli. Quod oro ut ignoscas, praesertim cum longo intervallo intermisso adhuc caream responso quod mereatur.
Et mihi quoque valde placebant rarae scholae, in quibus poteramus delineare dum audimus fabellas – magistra mea quae talibus methodis utebatur appellabatur Lia – et ipsa, cum essem puella, indignata sum cogitans de fabula filii prodigi. Quam enim fabulam credebam aptiorem esse ut patrem moneretur, ne umquam neglegeret ullum filium, quippe qui a se aberrare posset, quam ad reprehendendos eos, qui semper honeste se gesserunt. Laetitia vero afficior cum quod tu penitius ad praeceptorum medullam penenetravisti tum maxime quod suavissima verba de germana tua fecisti.
Cura ut pancratice valeas!