Ist eine Immersion oder ein Sprachbad möglich, wenn wir Latein lernen? Können wir eine Zeit lang ausschließlich in der Zielsprache sprechen, lesen, hören und schreiben, wenn diese ausgestorben ist?

Für die meisten Lateinlerner kommt dies nicht in Frage, nicht zuletzt aus rein logistischen Gründen. Ein Austausch in Lateinland geht leider nicht, dennoch können wir uns immer kreative Mittel und Wege verschaffen, um uns der Fremdsprache möglichst viel auszusetzen. Heute zeige ich Ihnen einen einfachen Weg, um das Lateinische – insbesondere die Teilkompetenz Schreiben – in den Alltag zu integrieren.

Seit einigen Monaten pflege ich meinen Kalender weitestgehend auf Latein.

Für mich ist es einfach, weil ich seit Jahren ein Bullet Journal benutze, das man selber so gestaltet, wie es einem passt. Da alles – von den Monatsübersichten, über die täglichen To-Do-Listen bis hin zu dekorativen Seiten – selbstgestaltet ist, ist man natürlich in der Sprachwahl keineswegs eingeschränkt. Wollen Sie einen Kalender in Linear B? …ehm, naja, das geht vielleicht ein bisschen zu weit. Aber Latein? Gar kein Thema!

Aber auch diejenigen, die einen herkömmlichen oder digitalen Kalender benutzen oder ein Tagebuch führen, können die Einträge auf Latein verfassen. Quid vetat?

Das Bullet Journal

Ein Bullet Journal ist eine völlig freie Art, einen Kalender zu gestalten. Das hört sich ehrlich gesagt viel komplizierter und aufwendiger an, als das ist. In seiner reinen Form kann ein BuJo nämlich ein sehr einfaches und schnelles Mittel sein, um das Leben zu organisieren. Hier finden Sie eine Einführung in die Basics.

Meine Bullet Journals

Es geht darum, ein Heft zu nehmen, in dem man Tag für Tag eine To-Do-Liste erstellt. Um Ereignisse und Aufgaben zu notieren, die weiter in der Zukunft liegen, kann man Wochen- und Monatsübersichten sowie ein sogenanntes future log, das ich auf Latein einfach futura oder res futurae nenne.

In meinem BuJo habe ich immer eine Jahresübersicht,

ein future log,

eine Monatsübersicht, in der ich To-Dos und Geburtstage aufschreibe. Mir gefällt es auch immer wieder mal, die Mondphasen zu notieren, weil ich mich immer auf helle Nächte freue, und ein Zitat auszusuchen.

Weiter habe ich jede Woche eine Übersicht mit To-Dos, Terminen, Platz, um allerlei Memorabilien aufzuschreiben, um zu notieren, wen ich kontaktieren will, was ich an Sport mache und welche Gerichte ich im Laufe der Woche zubereiten möchte.

Darüber hinaus kann man das Bullet Journal natürlich auch als Tagebuch, Scrapbook, Malbuch, Was-auch-immer-man-will-Buch benutzen, denn es ist ja nichts anderes als ein Heft. Es ist auch nicht in Stein gemeißelt, dass man immer gleich damit umgehen muss. Ganz im Gegenteil erlaubt ein BuJo eine große Flexibilität: Was gestern nicht funktioniert hat, kann ich heute abändern. Ich habe auch nicht immer Zeit und Lust, mein BuJo großartig zu dekorieren, ab und zu aber schon. Ich habe schon Stickers, Doodle, Aquarelle, Buntstifte, Brushpens und viel anderes mehr ausprobiert. Alles ist erlaubt, man kann aber auch nur ein paar Aufgaben aufschreiben und tschüs.

Latine, quaeso!

In folgendem, lateinischsprachigem Video zeige ich, wie das Setup für das Jahr 2022 zustandekam und dabei insbesondere wie ich mein BuJo benutze, um gute Vorsätze und Pläne für das neue Jahr zu schmieden.

Der römische Kalender

Da das Bullet Journal ein Kalender ist, muss sich der Lateinschreiber fragen, welche Notationsart er für Monate und Daten vorsehen möchten. Ich persönlich schränke mich dabei auf das ein, was den modernen Sprachen entspricht, aber für die, die the whole shabang umsetzen wollen, fasse ich heute zusammen, wie der römische Kalender funktioniert.

Monate

Die Monatsbezeichnungen sind, wie im Video bereits erwähnt, Adjektive, die sich auf das Substantiv mensis beziehen. Es ist möglich, aber keineswegs sicher, dass das Jahr ursprünglich 10 Monate umfasst habe. Es fing bis 153 v. Chr. mit dem März an, was die Stämme der Zählmonate erklärt:

  1. mensis Martius: nach dem Kriegsgott Mars
  2. mensis Aprilis: Etymologie unklar; möglich ist ein Bezug auf Venus (vgl. gr. ἀφρός ‚Meeresschaum‘)
  3. mensis Maius: nach der Göttin Maia, Mutter von Merkur
  4. mensis Iunius: nach der Götting Juno
  5. mensis Quintilis, ab 44 v. Chr. in Ehre von Cäsar zu Iulius umbenannt
  6. mensis Sextilis, ab 8. v. Chr. in Ehre von Oktavian zu Augustus umbenannt
  7. mensis September
  8. mensis October
  9. mensis November
  10. mensis December
  11. mensis Ianuarius: nach dem doppelköpfigen Gott Ianus
  12. mensis Februarius: nach den februa, dem Sühnefest am Ende des Jahres, benannt

Darüber hinaus gab es bis in die fortgeschrittene republikanische Zeit hinein einen Schaltmonat (mensis intercalaris) namens Mercedonius.

Tage

Die Anzahl der Tage in den verschiedenen Monaten hat sich im Laufe der Zeit verändert, bis sie sich auf die uns bekannte Verteilung eingependelt hat, die italienische Kinder übrigens mit folgendem Kinderreim lernen:

Trenta dì conta novembre
con april, giugno e settembre,
di ventotto ce n’è uno,
tutti gli altri ne han trentuno.

Filastrocca

So weit, so gut. Ab hier müssen wir uns von der Einstellung verabschieden, dass jeder normal denkende Mensch einfach die Tage von 1 bis 28/29/30/31 durchnummerieren würde. Denn, was Zahlen angeht, tickt der Römer nun mal anders. (An dieser Stelle gilt mein herzlichster Dank den Arabern, die uns vom römischen Zahlensystem gerettet haben.)

Die Römer hatte drei feste Tage im Monat festgelegt, Kalenden, Nonen und Iden (immer im Femininum Plural):

  1. Kalendae, -arum (Kal.): 1. Monatstag
  2. Nonae, -arum (Non.): 5. Monatstag (7. Monatstag im März, Mai, Juli, Oktober)
  3. Idus, -uum (Id.): 13. Monatstag (15. Montagstag im März, Mai, Juli, Oktober)

Diese Tage stehen im Ablativ mit dem entsprechenden Monatsadjektiv, z. B. am 1. Juni = Kalendis Iuniis, am 5. September = Nonis Septembribus, am 15. März = Idibus Martiis (ja, die berühmten Iden des März).

Die restlichen Tage werden von diesen fixen Punkten ausgehend rückwärts gerechnet. Dabei werden die Grenztage mitgezählt. Das ist nicht verwunderlich, wenn wir bedenken, dass die Römer etwa gesagt haben, die Olympischen Spiele fänden quinto quoque anno statt. Die Endpunkte zählten sie immer mit.

Die Daten jeweils unmittelbar vor den Kalenden, Nonen und Iden heißen einfach pridie, z. B. am 31. Januar = pridie Kal. Febr. (Lies: pridie Kalendas Februarias. Doch, Akkusativ. Nein, Sinn macht es keinen.)

Der 30. Januar sind dann römisch gezählt 3 Tage vor den Kalenden: am 30. Januar = a. d. III Kal. Febr. (ante diem tertium Kalendas Februarias).

Rechnen wir ein paar zusammen:

  • am 1. Januar = fester Tag, also Kal. Ian. (Kalendis Ianuariis)
  • am 7. Februar = der nächste feste Tag sind die Iden, also 13, 12, 11, 10, 9, 8, 7: a. d. VII Id. Febr. (ante diem septimum Idus Februarias)
  • am 14. März = der Tag vor den Iden, also pridie Id. Mar. (pridie Idus Martias)
  • am 28. April = der nächste feste Tag sind die Kalenden, also 1, 30, 29, 28: a. d. IV Kal. Mai. (ante diem quartum Kalendas Maias)
  • am 31. Mai = der Tag vor den Kalenden: pridie Kal. Iun. (pridie Kalendas Iunias)
  • am 11. Iuni = der nächste feste Tag sind die Iden, also 13, 12, 11: a. d. III Idus Iunias (ante diem tertium Idus Iunias)
  • am 23. Juli = der nächste feste Tag sind die Kalenden, also 1, 31, 30, 29, 28, 27, 26, 25, 24, 23: a. d. X Kal. Aug. (ante diem decimum Kalendas Augustas)

Es dürfte klar geworden sein, warum ich mich in meiner täglichen Planung nicht darauf einlassen möchte. Wenn Sie das anders sehen und das System in Ihr Bullet Journal einarbeiten wollen, bitte sehr!

Hier können Sie schon mal üben (mit Lösungen unten):

  • am 3. Oktober
  • am 25. Dezember
  • am 13. Juli
  • am 28. Februar
  • am 28. November
  • am 7. Mai
  • am 5. Juni
  • am 2. Januar
  • am 16. März
  • am 17. August

Hier geht es zu den Lösungen.

Wochentage sprachvergleichend

Für ein Bullet Journal braucht man auch Wochentage. Hier sind zunächst nur die lateinischen Bezeichnungen.

  • dies Solis ‚Sonntag‘
  • dies Lunae ‚Montag‘
  • dies Martis ‚Dienstag‘
  • dies Mercurii ‚Mittwoch‘
  • dies Iovis ‚Donnerstag‘
  • dies Veneris ‚Freitag‘
  • dies Saturni ‚Samstag‘

In der Tabelle finden Sie dann eine sprachvergleichende Übersicht der Bezeichnungen für die sieben Wochentage, bei der ersichtlich wird, dass die Tage im Lateinischen und Griechischen je nach einer Gottheit genannt waren und dass sich die Bezeichnungen bis auf Samstag und Sonntag in die (mir bekannten) romanischen Sprachen hin gehalten haben. In den germanischen Sprachen hat zum einen eine Anpassung der Gottheiten an die nordische Mythologie stattgefunden, zum anderen sind Christianisierungsbemühungen erkennbar, den paganen Einfluss auszulöschen. Im Japanischen haben die Wochentage mit Elementen zu tun, die – wie die Götterbezeichnungen auch – auf Gestirne zurückzuführen sind.

LateinAltgriechischDeutsch und germanische Sprachfamilieromanische SprachfamilieJapanisch
dies SolisἩλίου ἡμέραSonntagDie lat. Bezeichnung wurde in der Christianisierung in dies dominicus bzw. dominica umgeändert. Deswegen sind fr. dimanche und sp. domingo maskulin, it. domenica feminin.日曜日
(nichiyoubi)
Sonne
dies LunaeΣηλήνης ἡμέραMontag
Trotz des ursprünglichen Bezugs auf Mond- und Sonnengottheiten wurden die Beizeichnung Sonntag und Montag im Zuge der Christianisierung nicht umgegeändert.
It. lunedì, fr. lundi, sp. lunes.月曜日
(getsuyoubi)
Mond
dies MartisἌρεως ἡμέραDienstag
Mars wurde an den germanischen Kriegsgott *Tiwaz angeglichen – s. ahd. ziestag, ne. Tuesday. Wegen christlicher Bestreben, heidnische Götternamen zu vermeiden, hat man aus dem Erstglied Diens- gemacht.
It. martedì, fr. mardi, sp. martes.火曜日
(kayoubi)
Feuer
dies MercuriiἭρμου ἡμέραMittwoch
Wie aus ne. Wednesday und nl. woensdag ersichtlich, wurde Merkus als den germanischen Gott Wotan uminterpretiert. Im Deutschen hat sich die Lehnübersetzung der kirchenlat. Beizeichung media hebdomas durchgesetzt.
It. mercoledì, fr. mercredi, sp. miércoles.水曜日
(suiyoubi)
Wasser
dies IovisΔιὸς ἡμέραDonnerstag und Thursday zeigen noch deutliche Bezüge auf Juppiter. Die süddeutsch-österreichische Bezeichnung Pfingstag ist eine Entlehnung aus gr. πέμπτη ἡμέρα.It. giovedì, fr. jeudi, sp. jueves.木曜日
(mokuyoubi)
Holz
dies VenerisἈφροδίτης ἡμέραFreitag und Friday haben nichts mit Freiheit zu tun, sondern es hat eine Anpassung von Venus an die nordische Liebesgöttin Fria.It. venerdì, fr. vendredi, sp. viernes.金曜日
(kinyoubi)
Metall
dies SaturniΚρόνου ἡμέραBei Saturday ist die Entlehnung aus dem Lateinischen transparent. Bei Samstag handelt es sich um eine Entlehnung über das vulgärgr. *σάμβατον von hebr. šabbāt ‚wöchentlicher Ruhetag der Juden‘.
Sonnabend ist der ‚Vorabend des Sonntags‘.
It. sabato, sp. sábado von hebr. šabbāt, fr. samdi über den vulgärgr. Namen mit Nasal.土曜日
(doyoubi)
Erde

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Bibliographie

  • Etymologisches Wörterbuch von Wolfgang Pfeifer, unter www.dwds.de aufrufbar.
  • Rubenbauer, H. / Hofmann, J.B. (199512): Lateinische Grammatik, neubearbeitet von R. Heine. Bamberg/München, §276 Der römische Kalender.
  • Dizionario etimologico della lingua italiana di Francesco Bonomi, unter www.etimo.it aufrufbar.

Lösungen

  • am 3. Oktober = a. d. V Non. Oct. (ante diem quintum Nonas Octobres)
  • am 25. Dezember = a. d. VIII Kal. Ian. (ante diem octavum Kalendas Ianuarias)
  • am 13. Juli = a. d. III Id. Iul. (ante diem tertium Idus Iulias)
  • am 28. Februar = pridie Kal. Mar. (pridie Kalendas Martias)
  • am 28. November = a. d IV Kal. Dec. (ante diem quartum Kalendas Decembres)
  • am 7. Mai = Non. Mai. (Nonis Maiis)
  • am 5. Juni = a. d. III Non. Iun. (ante diem tertium Non. Iun.)
  • am 2. Januar = a. d. IV Non. Ian. (ante diem quartum Nonas Ianuarias)
  • am 16. März = a. d. XVII Kal. Apr. (ante diem decimum septimum Kalendas Apriles)
  • am 17. August = a. d. XVI Kal. Sept. (ante diem decimum sextum Kalendas Septembres)

Die spinnen, die Römer!

Asterix

Ich wünsche Ihnen einen schönen vierten Advent! 🕯🕯🕯🕯




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Silvia Ulivi

Humanistin mit einem unstillbaren Faible für Sprachsysteme, Literatur und Unterricht

6 Kommentare

Lilly · 24. Juni 2023 um 8:24

Danke für den tollen Artikel! Er hat viele Fragen geklärt!
Im Gegenzug versuche ich mal, die Geschichte mit dem Akkusativ bei den komplizierteren Tagesrechnungen zu erläutern: Der Akkusativ bei pridie Kalendas Februarias stammt von einem ante, das inzwischen weggefallen ist. Einen ähnlichen Ursprungsgedanken gibt es z. B. auch bei ante diem quartum Kalendas Martias, nur dass das ante hier erhalten blieb. Aus dies quartus ante Kalendas Martias wurde ante dies quartus Kalendas Martias, also einfach eine veränderte Wortstellung. Dies quartus musste schließlich in den Akkusativ wechseln, damit das ante weiterhin glücklich neben einem Wort im Akkusativ stehen kann, auch wenn die inhaltliche Sinnhaftigkeit dabei etwas verloren geht …

    Silvia Ulivi · 25. Juni 2023 um 8:29

    Vielen herzlichen Dank für die ausführliche und erhellende Erklärung!

Veronika · 11. Juli 2022 um 16:11

Eam rem non intellego:
Cur est „5. Mai“ „Non. Mai.“ ? Nam Nonae Maiis sunt VII Maiis, nonne? (Sic supra scripsisti…)
S.v.b.e.e.v.

Veronika · 11. Juli 2022 um 15:53

Egregissime est! Ego et lingam latinam et artem scribendi maxime dilligo. Et tu potes illam reginam linguarum bene loqui!
S.v.b.e.e.v.

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