Frontalunterricht ist wohl eine der umstrittensten Unterrichtsformen – geliebt von einigen, vehement kritisiert von anderen. In diesem Beitrag möchte ich einen differenzierten Blick auf die oft verteufelte Methode werfen und gängige Kritikpunkte kritisch beleuchten. Als Lehrende und als Lernende zähle ich mich zu denjenigen, die gut gemachten Frontalunterricht zutiefst genießen und und keineswegs als überholte Praxis betrachten.

Aus: Gudjions 2011: 28.

Kritikpunkte am Frontalunterricht: ein differenzierter Blick

Kritik: Frontalunterricht ist langweilig

Der Vorwurf, Frontalunterricht sei monoton und uninteressant, wird häufig erhoben. Doch die Schüler selbst scheinen das in meiner Erfahrung anders zu sehen. Definiert man Unterricht als „Prozess der Aneignung und Differenzierung von Wissen unter dem Aspekt der Führung“ (Rekus/Mikhail 2013: s. v. Unterricht), als einen Informationsprozess also, der nicht bloß im schulischen oder universitären Rahmen stattfindet, scheint der Vortrag in unserer Kultur außerdem durchaus ansprechend zu sein. Ein gut strukturierter Lehrervortrag kann eine faszinierende, aktivierende Erfahrung sein. Gesellschaftlich betrachtet hat das Erzählen und Vermitteln von Wissen in unserer Kultur eine lange Tradition – ob durch Lehrer, Philosophen oder moderne Formate wie TED-Talks, die Millionen Abonnenten anziehen. Die Begeisterung für informatives Storytelling ist tief im Menschen verankert. Langweilig wird Frontalunterricht nur dann, wenn Lehrende ihre Vorträge unmotiviert oder unstrukturiert gestalten. Durch rhetorische Übung und passende Zeiteinteilung kann Frontalunterricht also anregend und gewinnbringend sein. Eine ältere, aber quantitativ repräsentative Umfrage zeigt, dass 80 % der Lernenden das direkte Gespräch mit Lehrkraftbeteiligung schätzen, und auch der Lehrervortrag wurde von 63 % der Befragten positiv bewertet. Im Vergleich dazu wurde Gruppenarbeit von 48 % und Einzelarbeit sogar nur von 28 % der Schüler bevorzugt. (Vgl. Aschersleben 1986, zitiert nach Gudjons 2011: 43.)

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Kritik: Fehlende Aktivierung und passives Lernen

Ein Hauptkritikpunkt am Frontalunterricht ist der vermeintlich passive Charakter: Die Schüler sitzen still und hören zu, was als unproduktiv und wenig aktivierend gewertet wird. Doch hier ist Differenzierung gefragt, denn Aktivierung darf nicht ausschließlich durch äußere, beobachtbare Aktivität definiert werden, sondern muss sich auch auf mentale Prozesse beziehen. Während einer Klausur zum Beispiel herrscht zwar absolute Stille, dennoch arbeiten alle auf Hochtouren. Tatsächlich können Zuhören und Notizenmachen äußerst aktivierende Elemente sein, die tiefes Verständnis fördern.

Das Ziel sollte eben eine kognitive Aktivierung sein, die sich in interner Verarbeitung und Organisation des Lernstoffes ausdrückt. Auch eine Lehrer-Schüler-Interaktion im fragend-entwickelnden Unterricht kann die Schüler aktiv einbinden und den Lernstoff vertiefen. Die Annahme, dass sich Aktivität durch Schülermeldungen zeigt, verkennt die wichtige Rolle innerer Verarbeitungsprozesse. Frontalunterricht kann, sofern intelligent gestaltet, die Schüler sehr gut aktivieren und kognitiv fordern.

Wenn es nicht ums Üben, sondern primär um Informationsvermittlung geht, ist der Frontalunterricht durchaus effektiv (vgl. Ganz 2014: 32f.). Gerade wenn das aktive Zuhören mit dem Akt des Sich-Notizen-Machens maximiert wird, indem der Stoff schriftlich und schematisch organisiert wird, kann der Memorierungsprozess vor allem durch das Handschreiben stark angeregt werden.

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Kritik: Frontalunterricht passt nur zu manchen Fächern

Viele sehen Frontalunterricht als Methode, die nur für diskursive Fächer wie Geschichte oder Literatur sinnvoll ist, während in modernen Fremdsprachen oder naturwissenschaftlichen Fächern andere Sozialformen bevorzugt würden. Zwar ist es richtig, dass beispielsweise Partnerarbeit im Sprachunterricht eine große Rolle spielt oder Experimente in der Naturwissenschaft unverzichtbar sind. Doch auch in diesen Fächern kann der Frontalunterricht durch gut strukturierte Lehrervorträge eine wertvolle Ergänzung sein.

Der Frontalunterricht spielt in allen Fächern eine zentrale Rolle: Zumindest um Arbeitsaufträge zu formulieren, um den Unterricht zu phasieren und in den meisten Fällen auch um Ergebnisse zu sichern, kommt wohl nichts an seine Effektivität dran. Außerdem kann der Frontalunterricht durch verschiedene Arbeitsformen realisiert sein, etwa Lehrervortrag oder fragend-entwickelnden Unterricht.

Auf Unterlagen eines Mathefachdidaktikers, die ich auf der Seite einer deutschen Universität gesehen habe, stand in rot und fettgedruckt das Fazit: „Kein Lehrervortrag im schulischen Matheunterricht!“ Das hat mich traurig gemacht. Ich habe aus meinem schulischen Matheunterricht nicht viel mitgenommen, dass ich nie die faszinierende Geschichte von Gauß vergessen werde, der im Alter von sieben Jahren die gleichnamige Summenformel erfindet, womit er seinen Lehrer völlig verblüfft, werde ich nie vergessen. Unsere Mathelehrerin hatte sie uns strahlend und selber durch und durch von diesem geistreichen Manne fasziniert erzählt, hier und da schön ausschmückend mit „Der Lehrer wollte seine Schüler nun mit der Aufgabe eine gute Weile beschäftigen.“ und ähnlichen Angaben. Das war ein schöner Lehrervortrag, eine kurze Geschichte, die zum einen uns Schüler begeistert hat, zum anderen einen direkten Bezug zu den Stundeninhalten aufwies. Warum sollte man das verbieten wollen?

Frontalunterricht ist keineswegs auf „trockene“ Darbietungen reduziert. Auch ein Lehrervortrag kann jedes Mal anders gestaltet sein. Man kann auch mal etwas vorlesen oder eine Geschichte erzählen. Wie viele Lehrer (oder Menschen allgemein) gibt es denn, die wirklich gut darin sind, eine Geschichte zu erzählen, in deren Bann die Zuhörer gezogen werden? Ich glaube, dass (angehende) Lehrkräfte aller Fächer sich vornehmen sollten, ihre Erzählkünste zu verbessern, sei dies auch darauf beschränkt zu üben, die füllenden quasi, sozusagen, so und ähm aus dem eigenen Redefluss zu verbannen.

Kritik: Lehrerzentriertheit

Eine verbreitete Ansicht ist, dass Frontalunterricht zu sehr auf die Lehrkraft ausgerichtet und somit autoritär sei. Einige sollen ihn auch für antidemokratisch (vgl. Gudjons 2011: 29f.). Dass Demokratie Hierarchien, Zuständigkeitsbereiche und unterschiedliche Befugnisse nicht ausschließt, sollte allen, die nicht völlig realitätsfremd leben, eigentlich klar sein. Außerdem floriert Redekunst historisch immer in Phasen der Demokratisierung, also so viel dazu.

Doch Lehrerverantwortung und klare Strukturen sind nicht das Gegenteil von Demokratie. Ein gewisses Maß an Lehrerzentriertheit ist notwendig, um Lernprozesse zielgerichtet zu steuern und Inhalte effektiv zu vermitteln. Die weltweit berühmte Metaanalyse von John Hattie hat das hervorgehoben, was schon alle aus ihrer Schulerfahrung wussten: Auf den Lehrer kommt es an! Der Lehrer zählt nämlich zu den einflussreichsten Faktoren im Lernprozess:

Teachers are among the most powerful influences in learning.

Teachers need to be directive, influential, caring, and actually engaged in the passion of teaching and learning.

Hattie 2009: 238.

Die Lehrerrolle umfasst nicht nur die Wissensvermittlung, sondern auch die Motivation und Begeisterung für den Lernstoff und eine zielgerichtete Anleitung ist notwendig, damit selbstständige Arbeit gelingen kann. Die Lehrerzentriertheit ist insofern ein entscheidender Faktor, dass die Lehrkraft über die notwendigen Fach- und Didaktikkenntnisse verfügt, um Lernprozesse einzuleiten, zu begleiten und zu sichern. Für den Unterricht bedeutet das, dass er zwar lernerorientiert und -aktivierend sein soll, aber dass dies am besten bei hoher Lehrersteuerung möglich ist (vgl. Ganz 2014: 33).

Lehrerzentriertheit ist per se kein Nachteil, sonder hat Vorteile, was die Organisierung und Darstellung der Inhalte angeht. Durch entsprechende Planung kann die Lehrkraft die ganzen zum gesetzten Unterrichtsziel passenden Wissenseinheiten gut strukturiert und vollständig darstellen. Da sie auch Lerngruppe, Unterrichtssituation und andere Faktoren bei der Vorbereitung berücksichtigen kann, kann sie im Frontalunterricht relativ leicht Vorwissen aktivieren und daran anknüpfen. Schließlich kann sie für das festgelegte Stundenziel irrelevante Diskussionen im Gespräch ausblenden und den roten Faden der Stunde verfolgen (vgl. Ganz 2014: 34).

Kritik: Fehlende Förderung sozialer Kompetenzen

Eine oft gehörte These lautet, Frontalunterricht vernachlässige die soziale Dimension. Doch soziale Kompetenz umfasst mehr als die reine Teamarbeit. Dass zur Teamfähigkeit auch gehört, mal zu schweigen und anderen zuzuhören, wird von den Kritikern oft verkannt.

Auch die Fähigkeit, zuzuhören und in einen Dialog zu treten, gehört dazu. Im fragend-entwickelnden Unterricht kann der Lehrer gezielt Rückfragen stellen, die die Interaktion und die Bindung zwischen Lehrkraft und Schülern stärken. Indem der Lehrer sich offen für Schülerfragen zeigt und diese wertschätzt, wird eine respektvolle Kommunikationsbasis geschaffen. Soziale Kompetenzen entwickeln sich nicht nur in Gruppenarbeit.

Kritik: Lehr-Lern-Kurzschluss

Holzkamp (1995) u.a. kritisiert die Annahme, dass frontal präsentierter Stoff automatisch verstanden und behalten wird. Doch dieser „Lehr-Lern-Kurzschluss“ ist keine Schwachstelle, die nur den Frontalunterricht betrifft. Auch in Gruppenarbeiten oder Einzelarbeit kann Verständnis durch mangelhafte Verarbeitung auf der Strecke liegen. Entscheidend ist, dass der Lernstoff nicht nur vermittelt, sondern auch ausreichend reflektiert und angewendet wird. Zentral ist Feedback und Überprüfung: Nach einer Phase des Zuhörens kann man das Verständnis der Schüler z.B. in der Anwendung durch gezielte Übungen oder beim Zusammentragen in der Sicherungsphase überprüfen.

Will ich allen Lernenden z. B. gemeinsam einen bestimmten, abgegrenzten, klar strukturierten Wissensbereich präzise vermitteln, Zusammenhänge von einzelnen Inhalten aufzeigen oder Zusatzinformationen zur Gruppenarbeit geben, dann werde ich dies durch einen Lehrervortrag frontalunterrichtlich tun.

Gudjons 2011: 46.

Fazit

Obwohl der Frontalunterricht oft kritisch betrachtet wird, hat er einen festen Platz im unterrichtlichen Alltag und bietet bei methodisch-didaktisch kluger und rhetorisch gekonnter Umsetzung erhebliche Vorteile (vgl. Wiechmann 2015: 24). Kein anderes Lehrformat ist besser geeignet, um klare Arbeitsanweisungen zu geben, Unterrichtsphasen zu strukturieren, komplexe Inhalte systematisch darzustellen und die Begeisterung der Lehrkraft für ihr Fach zum Ausdruck zu bringen.

Auch für den Plenarunterricht gilt das, was für alle Methoden gilt: Methoden sind kein Selbstzweck, sondern stehen stets im funktionalen Dienste der gesetzten Lernziele.

Bibliographie

  • Ganz, Günter (2014): Der sprechende Unterricht. Nachhaltige Bildung durch das Wort. Baltmannsweiler: Schneider Hohengehren.
  • Gudjions, Herbert (20113): Frontalunterricht – neu entdeckt. Integration in offene Unterrichtsformen. Bad Heilbrunn: Klinkhardt (UTB).
  • Hattie, John (2009): Visible Learning. A Synthesis of Over 800 Meta-Analyses Relating to Achievement. London: Routledge.
  • Meyer, Hilbert (201712): Was ist guter Unterricht? Berlin: Cornelsen.
  • Rekus, Jürgen / Mikhail, Thomas (20134): Neues schulpädagogisches Wörterbuch. Weinheim/Basel: Beltz.
  • Wiechmann, Jürgen (20155): Frontalunterricht. In: Wiechmann, Jürgen / Wildhilt, Susanne (Hg.): Zwölf Unterrichtsmethoden. Vielfalt für die Praxis. Weinheim/Basel: Beltz, 24–38.
  • Wiechmann, Jürgen / Wildhirt Susanne (20155): Unterrichtsmethoden – vom Nutzen der Vielfalt. In: Wiechmann, Jürgen / Wildhilt, Susanne (Hg.): Zwölf Unterrichtsmethoden. Vielfalt für die Praxis. Weinheim/Basel: Beltz, 11–22.

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Silvia Ulivi

Humanistin mit einem unstillbaren Faible für Sprachsysteme, Literatur und Unterricht

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