Übersetzung, Verhandlungsdolmetschen, Konferenzdolmetschen, Sprachmittlung… Geht es darum, einen Text (im weitesten Sinne) von einer Sprache in eine andere zu übertragen, gibt es viele unterschiedliche Ansätze mit vielen unterschiedlichen Namen. Wenn Sie sich Klarheit dazu verschaffen wollen, ist der heutige Artikel für Sie.
Prämisse: Was ist ein Text?
Definitionen von Text gibt es wie Sand am Meer. Eine für den heutigen Beitrag passende wäre diese:
eine satzübergreifende sprachliche Form, in der Handlungen und Inhalte ausgedrückt, sequenziert und aufeinander bezogen werden
Bußmann 2008: s. v. Text.
Dabei wird klar, dass wir auch von mündlichen Texten sprechen dürfen.
Daher die Frage: Welche Möglichkeiten gibt es, einen Text im weitesten Sinne von einer Ausgangsprache in eine Zielsprache zu übertragen?
Schriftlich vs. mündlich
Ganz allgemein spricht man bei schriftlichen Texten von Übersetzung, bei mündlichen von Dolmetschen.
Übersetzung
Übersetzer schriftlicher Texte sind in der Regel auf ein Gebiet spezialisiert, was auch in der akademischen Bildung an den entsprechenden Studiengängen ersichtlich wird.
Es gibt erstens die Übersetzung von Fachtexten: von Gebrauchsanweisungen von Elektrogeräten, über Packungsbeilagen von Medikamenten, bis hin zu Fachtexten oder Smarthome-Apps. Fachübersetzung kann so unterschiedlich sein wie die Fächer selber und ihre Anwendungsbereiche.
Einen weiteren Bereich stellt die literarische Übersetzung dar. Auch hier könnten die Arbeitsbereiche nicht unterschiedlicher sein: Unterhaltungsliteratur, Dichtung, Theater, Kinderbücher usw. usf.
Weiter gibt es die Übersetzung für die Medien; insbesondere die Kinematographie hat hier eine lange Tradition, aber auch Videospiele und andere Medien gehören dazu. Was die Übersetzung von Drehbüchern angeht, spielt eine zentrale Rolle, ob der Text für die Synchronisation oder die Untertitel übersetzt wird, weil die zwei Bereiche unterschiedlichen Einschränkungen unterliegen. Die Übersetzung für die Synchronisation einerseits muss die Länge der originalen Audiospur berücksichtigen sowie den Lippenbewegungen angepasst werden. Andererseits müssen Untertitel räumliche Grenzen einhalten. Letzteres ist z. B. mit ein Grund dafür, dass gleichsprachige Untertitel nicht immer identisch das abbilden, was in der Audiospur zu hören ist. Untertitel für Hörbeschädigte enthalten außerdem auch Informationen zur von Musik geschaffenen Atmosphäre oder zu Geräuschen im Film, v. a. wenn diese zu einem visuell nicht realisierten Effekt beitragen.
Übersetzung aus dem Stegreif
Ist man dem Wort Stegreif nicht vertraut, kann einem schnell ein volksetymologischer Fehler passieren: Die Schreibung Stehgreif und die entsprechende Aussprache [ˈʃteːgʀaɪ̯f] sind falsch, denn das Wort hat weder mit stehen noch mit greifen zu tun. Mhd. stëg(e)reif (< ahd. stegareif) ist ein Kompositum aus mhd. stëgen (‚gehen‘, ‚emporsteigen‘) – nicht mhd. stîgen > nhd. steigen – und mhd. reif ‚Seil‘, ‚Strick‘, das den ‚Steigbügel‘ bezeichnete, mit dem man zu Pferd steigt. Aus dem Stegreif hieß also wörtlich ‚ohne vom Pferd abzusteigen‘.
(Vgl. Pfeifer 1997 und Lexer 2021.)
Die Wendung aus dem Stegreif ist wahrscheinlich eher im Rahmen von Theaterimprovisationen oder allgemein im Sinne von ‚ohne Vorbereitung‘ bekannt.
Eine Übersetzung aus dem Stegreif befindet sich auf halbem Wege zwischen Schriftlichkeit und Mündlichkeit. Sie bezeichnet die mündliche Übersetzung von einem Text, während man ihn liest, ohne ihn vorher vorbereitet zu haben. Man liest sozusagen gleichzeitig den Ausgangstext mit den Augen und den übersetzten Zieltext mit dem Mund.
Diese Art von Übersetzung, die auf Italienisch traduzione a vista genannt wird, kann sich nicht nur in verschiedenen kommunikativen Kontexten natürlich ergeben, sondern ist auch eine effiziente propädeutische Übung zum Simultandolmetschen.
Dolmetschen
Dolmetschen ist die mündliche Übertragung von einem gesprochenen Ausgangstext in eine andere Sprache. Man unterscheidet zunächst einmal, ob Ausgangs- und Zieltext gleichzeitig oder nacheinander gesprochen werden: Simultan- bzw. Konsekutivdolmetschen.
Simultandolmetschen
Simultan kommt aus lat. simul ‚gleichzeitig‘. Beim Simultandolmetschen sprechen Sprecher und Dolmetscher also gleichzeitig. Natürlich besteht zwischen den Äußerungen des Sprechers und des Dolmetschen ein kleiner zeitlicher Abstand. Den nennt man Décalage (‚Lücke‘ auf Französisch).
Simultandolmetschen auf Konferenzen findet in der Regel von einer schalldichten Kabine aus statt. In der Kabine sitzen zwei Dolmetscher, die sich jede 20-30 Minuten abwechseln. In manchen Situationen wird anstatt der Kabine eine Personenführungsanlage eingesetzt. Werden auf einem Kongress gleichzeitig mehrere gedolmetschte Sprachen angeboten, braucht man natürlich entsprechend viele Kabinen.
Simultandolmetschen ohne technische Hilfe kann für einen bis zwei Zuhörer in Form von Chuchotage, auch Flüsterdolemtschen genannt, erfolgen. Auch Gebärdensprachdolmetschen ist eine Form von Simultandolmetschen ohne besonderen technischen Einsatz.
Konsekutivdolmetschen
Spricht man von Konferenzdolmetschen, meint man den Überbegriff für Simultandolmetschen aus der Kabine und Konsekutivdolmetschen. Beim Konsekutivdolmetschen (< consequi ‚unmittelbar folgen‘) spricht der Redner 10-20 Minuten; währenddessen macht sich der Dolmetscher auf eine ganz besondere und personalisierte Weise Notizen, sodass er im Anschluss in der Lage ist, die gehörte Rede in der Zielsprache zu halten. Diese Notationstechnik hat nichts mit Stenographie zu tun, sondern jeder Dolmetscher erarbeitet für sich Abkürzungen und Symbole für alle möglichen Begriffe und v. a. Konnektoren, die es ihm ermöglichen, die Argumentation im Anschluss textnah zu rekonstruieren. Für eine Rede muss also die doppelte Zeit eingeplant werden.
Verhandlungsdolmetschen
Eigentlich auch konsekutiv, da es zeitversetzt erfolgt, aber nicht unter diesem Namen gängig, um es vom Konferenzdolmetschen zu unterscheiden, ist das Verhandlungsdolmetschen. Der deutsche Terminus Verhandlungsdolmetschen sowie der englisch court interpreting betonen den Einsatz im Gericht, der italienische interpretazione di trattativa eher den im Handel, der englische community interpreting den sozialen Aspekt. Ob bei Geschäftsverhandlungen, bei Messen, in Krankenhäusern, vor dem Gericht und in verschiedenen Behörden, die Bereiche, in denen Verhandlungsdolmetschen zum Tragen kommt, sind zahlreich und unterschiedlich. Das Verhandlungsdolmetschen stellt im Optimalfall sicher, dass die Gesprächsteilnehmer untereinander reden können, als ob der Dolmetscher gar nicht anwesend wäre; nach einer Redepartie von maximal 1-1,5 Minuten – bei 1,5 Minuten wird’s schon sportlich – wird in erster Person (!) gedolmetscht. Der andere Gesprächspartner antwortet, dann wird gedolmetscht usw. Der Dolmetscher nimmt sozusagen nicht als Akteur am Gespräch teil. Er macht sich normalerweise auch keine Notizen.
Menschliche vs. maschinelle Übersetzung
Soweit bin ich von menschlicher Textübertragung von einer Sprache in eine andere ausgegangen.
Bekanntermaßen besteht aber auch die Möglichkeit, einen Text automatisch übersetzen zu lassen. Die Fortschritte, die in den letzten 15 Jahren im Bereich maschineller Übersetzung gemacht wurden, sind erstaunlich. Zwar kann etwa Google Translator immer noch nicht gut übersetzen, aber wenn es darum geht, schnell zu verstehen, worum es grob in einem Text geht, ist diese automatische und kostenlose Funktion unschlagbar.
Maschinelle Übersetzung schließt aber nicht nur eine für den Endbenutzer automatisch gefertigte Übersetzung, sondern auch computergestütztes Übersetzen (CAT: computer-assisted translation) ein. Die sogenannten CAT-Tools dienen dazu, die Arbeit des Übersetzers schneller und effizienter zu machen. Die Hauptfunktionen von CAT-Tools sind insbesondere: Glossardatenbanken anzulegen, um einzelne Termini automatisch und konsistent zu übersetzen, Texte in sinnvolle Einheiten automatisch zu segmentieren und übersetze Segmente in einer Translation Memory zu speichern, um bei Segmentwiederholungen auf vorherige Übersetzungen zurückgreifen zu können.
Sonderfall Schule
Als Sonderfall einzustufen ist die Übersetzung im altsprachlichen Unterricht. Im Gegensatz zu den oben genannten Übersetzungsfällen, die von einer kommunikativen Funktion geprägt sind, hat die Übersetzung aus dem Lateinischen oder Altgriechischen in der Schule eine Kontrollfunktion. Das bedeutet, dass die Schüler anhand der Übersetzung zeigen sollen, dass sie den Originaltext und seine grammatischen Strukturen verstanden und angemessen in die Unterrichtssprache übersetzen können. In der Regel wird dabei erwartet, dass man möglichst textnah übersetzt, und nicht so sehr, dass für den korrigierenden Lehrer eine genüssliche Lektüre des literarischen Texts entsteht. Wahrscheinlich um diesen Unterschied zu markieren, spricht man im Italienischen im schulischen Kontext nicht von traduzione, sondern von versione.
Sprachdidaktik und Übersetzung/Dolmetschen, wie sie oben präsentiert wurden, gehen auch bezüglich der sogenannten Sprachmittlung auseinander. In der Sprachdidaktik wird Sprachmittlung (it. mediazione, das jedoch auch für Verhandlungsdolmetschen in bestimmten Bereichen stehen kann) gerne als die fünfte Teilkompetenz neben Hören, Sprechen, Lesen, Schreiben genannt. Die Übung der Sprachmittlung ist im schulischen Unterricht der modernen Fremdsprachen mittlerweile fest verankert. Es geht dabei um eine „freiere[] Übertragung bei konsequenter Beachtung der Situation und des Adressaten“ (Michler/Reimann 2019: 201). Zum Beispiel: „Ein Austauschschüler aus Italien will mit dem Zug von unserer Stadt nach Köln fahren. Erkläre ihm, wie wann welche Züge fahren.“ (Material: Auszug des Fahrplans) oder „Du bist in Mailand mit Deinen Eltern und sie bitten Dich darum, nach dem Weg zum Dom zu fragen.“
Für den Sprachmittler (it. mediatore) ist es zentral, sich situation- und adressatengerecht auszudrücken und ggf. auf interkulturelle Unterschiede hinzuweisen. Sprachmittlung kann aus einem mündlich oder schriftlich formulierten Input entstehen und mündlich oder schriftlich erfolgen. Obwohl der Sprachmittler im Gegensatz zum Dolmetscher und Übersetzer als Gesprächspartner, also ggf. auch in der 1. Person, sprachlich agiert und in der Regel nicht wörtlich übersetzt, sondern auch zusammenfassen, paraphrasieren und erläutern muss, unterliegt auch er einer auf Vertrauen, Neutralität und Diskretion ruhenden Deontologie (vgl. Mack 2005: 10).
Ich habe in meinem Erststudium Übersetzung und Verhandlungsdolmetschen studiert, danach sporadisch Übersetzungsaufträge angenommen oder mich aus der Not heraus privat am Chuchotage probiert – was entgegen allen Erwartungen Spaß gemacht hat. Nun bin ich durch Lehrtätigkeiten in der Erwachsenenbildung und durch das Zweitstudium auf Lehramt eher im sprachdidaktischen Kontext unterwegs.
Mit welchen dieser Übertragungsarten haben Sie Erfahrung gehabt?
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Bibliographie
- Bußmann, Hadumod (20084): Lexikon der deutschen Sprachwissenschaft. Stuttgart: Kröner.
- Lexer, Matthias (2021): Mittelhochdeutsches Handwörterbuch, unter: www.woerterbuchnetz.de (Stand: 04.10.2021).
- Michler, Christine / Reimann, Daniel (2019): Fachdidaktik Italienisch. Eine Einführung. Tübingen: Narr Francke Attempto Verlag.
- Pfeifer, Wolfgang (1997): Etymologisches Wörterbuch der deutschen Sprache digital, unter: www.dwds.de (Stand: 04.10.2021).
- Mack, Gabriele (2005): Interpretazione e mediazione: alcune osservazioni terminologiche. In: Russo, Mariachiara / Mack, Gabriele (Hgg.): Interpretazione di trattativa. La mediazione linguistico-culturale nel contesto formativo e professionale. Milano: Hoepli.
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