Ich habe neulich ein Interview gehört, in dem eine junge Frau, die als Model arbeitet, gefragt wurde, ob sie studieren wird. Ihre Antwort lautete: „Nein! Warum soll ich denn studieren? Nur hässliche Mädchen brauchen zu studieren. Hübsche Mädchen können etwas anderes machen.“

Meine erste Reaktion war eine der Empörung.

Doch: Ist nicht etwas Wahres an diesem Gedanken? Ich muss zugeben, dass ich eine Prise Wahrheit in dieser plakativen Antwort entdeckt habe. Hear me out.

Schönheit ist ein Gut. Andere Menschen mit Schönheit bewegen zu können, bietet einen Mehrwert, der als solcher würdig ist, bezahlt zu werden. Ein Model bietet der Gesellschaft durch den ästhetischen Wert seines Körpers einen Mehrwert. Ein Tänzer bietet durch die Schönheit seiner Bewegungen einen Mehrwert. Ein Künstler bietet durch die Schönheit seiner Werke einen Mehrwert. Ein Sänger bietet durch die Schönheit seiner Stimme einen Mehrwert. Und so weiter. Die junge Frau im Interview hatte also vollkommen recht damit, dass sie durch ihre körperlich-ästhetischen Vorteile bereits einen Mehrwert mitbringt. Wenn sie diesen richtig vermarktet, kann er selbstverständlich ein lukrativer Vorteil werden.

Schönheit ist ein Gut. Sie ist jedoch, wie Ovid lehrt, ein zerbrechliches und vergängliches Gut:

Forma bonum fragile est.

Ov. ars 2.113.

Ihre Antwort muss also nur eine halbe Wahrheit sein – außer sie geht davon aus, faltenfrei zu sterben, was kein besonders schlauer Lebensplan wäre.

Mir ist die Tage diese Ciceros Rede pro Murena in die Hände gefallen. Hier gibt Cicero u.a. Aspekte der stoischen Lehre wieder. Zenon glaubt:

Solos sapientes, si distortissimi sint, formosos esse.

Cic. Mur. 61.

‚Nur die Weisen können, seien sie auch völlig entstellt, schön sein.‘ Die Argumentation funktioniert eigentlich nur, wenn sie andersherum gestellt ist. Nicht: Wer schön ist, braucht nicht gelehrt zu sein. Sondern: Wer gelehrt und gut ist, übt eine besondere Anziehungskraft aus.

Ich glaube, wir haben alle schon einmal einen Menschen getroffen, der zwar nicht durch äußerliche Schönheit glänzte, jedoch so gelehrt und redegewandt über die unterschiedlichsten Themen auf eine Weise sprechen konnte, dass er uns innerlich zu berühren und zu beeindrucken vermochte. Es ist unbestreitbar, dass von Menschen, die klug, gelehrt und beredsam sind, eine besondere Attraktion ausgehen kann. Ich bin daher in dem Punkt eindeutig auf der Seite von Cicero, Zenon und den Stoikern.

Et quoniam non est nobis haec oratio habenda aut in imperita multitudine aut in aliquo conventu agrestium, audacius paulo de studiis humanitatis quae et mihi et vobis nota et iucunda sunt disputabo. In M. Catone, iudices, haec bona quae videmus divina et egregia ipsius scitote esse propria; quae non numquam requirimus, ea sunt omnia non a natura verum a magistro.

Cic. Mur. 61.

Schönheit ist ein wunderbares Gut, das manchen von der Natur geschenkt wird. Das Göttliche und Erhabene in uns können wir aber nur durch die studia humanitatis erwecken. Und das ist erfreulicherweise nicht von den bockigen Launen der Fortuna abhängig, denn das stammt nicht von der Natur, sondern von einem Lehrer!

Was die Natur entwirft, wird von der Kunst vollführt,
die Blume, die im Feld sich unbemerkt verliert,
erzieht des Gärtners Fleiß zum schönsten Kind der Floren.

Wieland, Musarion.

Der nötige Fleiß, sich zum Menschen zu bilden und Wissen anzueignen, ist ein sichererer Weg als das blinde Vertrauen darin, dass man lange genug mit äußerer Schönheit allein ein Mehrwert für andere sein kann. Die ars (‚Kunst‘, ‚Technik‘, ‚Wissenschaft‘) ist ein sichererer Anführer als die Natur, sagt Cicero. Es reicht nicht schön zu sein; es reicht nicht, klug zu sein: Begabungen fruchten nicht von alleine!

Quod etsi ingeniis magnis praediti quidam dicendi copiam sine ratione consequuntur, ars tamen est dux certior quam natura.

Cic. fin. 4.10.

Denn Bildung formt uns. Bildung macht uns aus. Bildung macht uns erst zu Menschen.

Der Mensch kann nur Mensch werden durch Erziehung.

Kant, Über Pädagogik.

Ich empfehle im Zweifel allen, auch Models, so viel zu lernen, wie sie können. Wenn Sie bereits schön sind, was kann es schaden, auch gebildet zu sein?

Studendum vero semper et ubique.

Quintilian, Inst. 10.27.

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Silvia Ulivi

Humanistin mit einem unstillbaren Faible für Sprachsysteme, Literatur und Unterricht

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