„Kein Wunder, dass in der Toskana so schöne Gebäude sind: Selbst das Brot ist ein Backstein!“

„Ich erwartete eine einzigartige Spezialität, aber es hat nach nichts geschmeckt. Was war denn da los?“

Solche Kommentare höre ich von Nicht-Toskanern häufig, denn toskanisches Brot ist insofern einzigartig und daher gewöhnungsbedürftig, dass es ohne Salz zubereitet wird. Allein schmeckt es nach gar nichts.

Auf der Seite der Toskaner dagegen: „Wir haben das wahre Brot in seiner reinsten Form.“ oder „Mit Salz und Samen ist es kein Brot mehr, es ist ein Gericht.“ Auch Dante vermisste das salzlose Brot:

Tu lascerai ogne cosa diletta
più caramente; e questo è quello strale
che l’arco de lo essilio pria saetta.
Tu proverai sì come sa di sale
lo pane altrui, e come è duro calle
lo scendere e ‚l salir per l’altrui scale

Dante, Paradiso 17,58-60

Und? Wer hat jetzt Recht? Ist toskanisches Brot eine wunderbare Spezialität, die man auf keinen Fall verpassen sollte, oder ein hartes, liebloses Stück Gebäck, das man getrost links liegen lassen kann?

Vor Jahren habe ich in irgendeinem Buch zu Brotsorten der Welt, deren Namen mir leider entgeht, gelesen, dass die Toskana der einzige Ort ist, in dem das Brot salzlos ist oder, wie Toskaner sagen: sciocco.

Sciocco bedeutet auf Italienisch ‚dumm‘ (von Personen oder Sachen) und stammt etymologisch wahrscheinlich aus lat. exsuccus (‚saftlos‘), das von Quintilian im übertragenen Sinne in Bezug auf kraftlose Redner benutzt wurde: oratores aridi et exsucci et exsangues (Quint., inst. 12,10). Phraseologisch ist ein Dummer jemand, der non ha sale in zucca, und sciocco ist auf Toskanisch eben auch ‚ohne Salz‘.

Isst man toskanisches Brot ohne alles, erlebt man sicherlich kein Feuerwerk unerwarteter Gaumenfreuden: Es schmeckt nach nichts, die härtere Konsistenz ist nicht gerade das Angenehmste der Welt und man zieht schnell lieber zu der viel leckereren schiacciata weiter, die dank Salz, reichlich Öl und Rosmarin Gourmets und Gourmands gleichermaßen erfreut.

Denn toskanisches Brot isst man einfach nicht so. Es wäre so, als ob man Dampfnudeln ohne Vanillesoße zu sich nähme. Es wäre doch ziemlich sciocco von uns. Wie ist es dann stattdessen gedacht?

Die toskanische Küche ist keine Haute Cuisine, sondern besteht aus einfachen Gerichten der bäuerlichen Tradition, welche mit den dort prächtig gedeihenden Feld‑ und Gartenfrüchten zubereitet werden. Auch eine Scheibe Brot mit Tomaten, Salz und Öl kann rührend köstlich sein, wenn die Zutaten stimmen, sodass man in der Toskana (und vielleicht allgemein in Italien) das Sprichwort kennt: al contadino non far sapere quant’è buono il cacio con le pere. ‚Lass den Bauer nicht wissen, wie lecker Käse mit Birnen schmeckt‘, dass er also in den einfachsten Dingen seiner alltäglichen Küche bereits raffinierte Köstlichkeiten probiert hat. Das macht die toskanische Küche wunderbar.

Das toskanische Brot ist in zweifacher Hinsicht Bestandteil dieser einfachen Küche, und zwar:

  1. als Zutat weiterer Gerichte, wie ribollitapanzanellapappa al pomodorofettunta;
  2. als Begleiter für companatico und secondi piatti.

Companatico (< con + pane) ist das, was man zum Brot dazu isst – Aufschnitt und Käse –, und ist in der Toskana traditionell extrem salzig: pecorino toscanoprosciutto toscanosalame toscanosoppressatafinocchiona und Konsorten sind sehr salzige Angelegenheiten, die von einem neutralen Begleiter profitieren. Auch zum zweiten Gang, also zu Fleisch/Fisch und Gemüse, hält der Toskaner gerne ein Stückchen Brot in der Hand. Spätestens um scarpetta zu machen, also um die übriggebliebene Soße oder das schmackhafte Öl aufzunehmen.

Toskanisches Brot macht also nur innerhalb der toskanischen Küche Sinn und diese ist schon verdammt lecker. Gehen Sie hin, bestellen Sie so, wie die Toskaner vor Ort auch gerade bestellen, und Sie werden nicht enttäuscht sein. Auch nicht vom salzlosen Brot.

Sprachwissenschaftlern erklärt:

Frevelhaft ist es, das toskanische Brot in paradigmatischer Beziehung zu anderen Brotsorten zu sehen und zu versuchen, es morgens zum deutschen Frühstück mit Butter und Lyoner zu essen, denn das Brot lässt sich von der Konsistenz her gar nicht mit Butter bestreichen und schmeckt auf diese Weise überhaupt nicht. Genießen Sie es aber in der richtigen syntagmatischen Kombination seiner Küche, wie es gedacht ist, werden Sie staunen.

Wenn Sie toskanisches Brot backen wollen, schauen Sie bei meinen Freunden Filippo und Carina vorbei: pane toscano.

Jeden Sonntag erscheint ein neuer Artikel auf der Webseite. Bis der nächste herauskommt, könnten Sie auch diese interessieren:




Silvia Ulivi

Humanistin mit einem unstillbaren Faible für Sprachsysteme, Literatur und Unterricht

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