Freitag, den 20. Mai 2022

Der Handvoll Menschen, die erzählen, das Referendariat sei eine angenehme Zeit, ist kein Glauben zu schenken.

Der Unterricht

Das soll aber nicht heißen, dass es keine schönen Momente gebe. Für mich ist das Allerschönste der Kontakt zu den Schülern. Im Unterricht vergesse ich mich sich selbst, weil ich mich auf Inhalte, Unterrichtsverlauf, Schülerbeiträge usw. konzentriere. Das war für mich schon an der Universität und in der Erwachsenenbildung ein wunderschöner Nebeneffekt: Unterricht macht gute Laune, weil man während dessen nur an das Unterrichten denken kann und deswegen alles andere notwendiger- wie erfreulicherweise hinter sich lässt. Außerdem hat man in der Schule – anders als an der Uni – die Chance, die Schüler besser kennenzulernen und eine wichtigere Rolle in ihrem Leben zu spielen. Ich scheue mich auf einer Seite nach wie vor ein bisschen vor dieser Verantwortung; auf der anderen Seite ist es auch ein Genuss und eine Freude, intensiver mit einer Klasse oder Lerngruppe interagieren zu können.

Die Organisation

Eins habe ich schon festgestellt: Um nicht einzugehen, müssen Lehrer einen ganz schön straffen Rhythmus einhalten, der keinen Spielraum zum Zögern zulässt. Die meisten Lehrer beantworten zum Beispiel immer im Nu ihre Mails. Das liegt daran, dass sie sich gar keine Zeit zum Nachdenken erlauben können, sonst werden sie, während sie über das eine nachdenken, von den nächsten 100 Angelegenheiten überrumpelt. Alles muss zack, zack laufen. Was man sofort abhaken kann, muss weg.

Ich fand es in diesem Zusammenhang gut, dass die Kernseminarleitung in der dieswöchigen Sitzung auf die Paretoregel eingegangen ist, die besagt, dass 80% der Ergebnisse in 20% der investierten Zeit erreicht wird und man 80% der Zeit anwendet, um das letzte 20% zu schaffen. Der Schritt von null zu gut braucht 20% unserer Ressourcen, aber von gut zu perfekt viermal so lange! Und im Leben allgemein und bei 25,5 Stunden Deputat insbesondere gilt:

Done is better that perfect!

Schnell machen, ausprobieren, mutatis mutandis wiederholen.

(Oje, ich habe gerade beim Schreiben realisiert, dass das italienische Wort für ‚Unterhose‘ – mutande – etymologisch ‚die zu wechselnde (Wäsche)‘ heißt. 😅 Quite random, I know…)

Ich habe immer insbesondere die Lehrkräfte geschätzt, die eine große Gelehrsamkeit mit einem tief gehenden Pragmatismus vereinigen. Das bestätigt sich in meinem Augen hundertprozentig.

Und wenn Sie jetzt an Hattie und die geringe Effektstärke von Fachkompetenz der Lehrkraft denken, tja… ich schätze belesene, gelehrte, eloquente Lehrkräfte trotzdem sehr. Mir fällt dazu Einiges ein, was ich vielleicht irgendwann in einem anderen Artikel schreiben werde, sed adhuc hactenus.

Rückblick

Aufgaben

Diese Woche war sehr anstrengend: erste Unterrichtsstunden, volle Seminartage mit viel Fahrerei, Hausaufgaben, viele Besprechungen und noch mehr Orgakram, Orgakram und Orgakram! Das nimmt kein Ende.

Ich bin ganz happy über meine erste Lateinstunde, weil ich davor ein bisschen Respekt hatte, aber es hat mir Spaß gemacht. Ich habe bei der Vorbereitung den Fehler des fehlenden Pragmatismus (s. o.) gemacht und Tage lang nach der perfekten Textstelle gesucht, indem ich über 40 Seiten Livius durchforstet habe, obwohl ich wusste, dass wir wahrscheinlich um die 10 ZEILEN in einer Stunde übersetzen. 🤪 Total bescheuert. Pareto kann leider erst danach vor. Auch die Lateinfachleitung hat aber mit anderen Worten Ähnliches empfohlen: Man solle sich schnell für eine Textstelle entscheiden und so hinter der Entscheidung stehen, dass man sie den Schülern als die allerbeste Textstelle verkaufen könne. Was dann nicht läuft, kann man ja das nächste Mal anpassen.

Ich muss langsam, aber sicher anfangen, über die anstehenden Lehrproben nachzudenken, möchte jedoch viel lieber straußmäßig den Kopf in den Sand stecken. Vor allem das Organisatorische ist ätzend (das wird langsam zum Leitmotiv… oder Leidmotiv?), weil ich im Voraus wissen muss, was für einen UB-Typ ich vorsehe, damit ich und der betroffene Lehrer die vorangehenden Stunden so stricken können, dass ich beim UB tatsächlich da lande, was ich zeigen will. Das muss man also rechtzeitig planen und den Lehrern mitteilen, damit sie den Unterricht entsprechend gestalten können… hoffentlich… was sie meistens auch tun. Einfach nur herrlich, wenn man sich auf anderen Menschen verlassen muss… das kann ich ja riiichtig… riiiichtig… guuut. 😬

Unter den Weisheiten, die man als Referendar mit auf den Weg bekommt, ist auch immer wieder der Spruch: „Das Referendariat schafft man nicht alleine.“ Ja, stimmt, denn das ganze System Schule ist offensichtlich nicht so konzipiert, dass ein einzelner Lehrer einfach sein Ding vor sich hin treiben kann. Obwohl ein lone wolf wie ich das erst mal herunterschlucken muss, musste ich auch schnell zugeben, dass nicht jede Absprache und Besprechung Zeitverschwendung ist und ich schon deutlich öfter als vermutet gewinnbringenden Austausch beobachtet und erlebt habe.

Psychosomatik

Ich war diese Woche zwischendurch so aufgeregt, dass meine Augen gepocht und gezuckt haben. Am Mittwochabend war ich dermaßen unter Spannung, dass ich einen extremen Bewegungsdrang verspürt habe und alle Aufgaben unterbrechen musste, um eine halbe Stunde ganz schnell (für meine Verhältnisse 🙄) zu laufen. Erst nach einer Runde Joggen war die Welt wieder halbwegs in Ordnung.

Und nächste Woche?

Heute sind wegen Wetterwarnung ab 11:30 Uhr Unterricht, Klausuren und mündliche Prüfungen ausgefallen. Ich bin mal gespannt, wann das Ganze nachgeholt wird und wie massiv das meine Lehrproben durcheinanderbringt. Argh! Da es im Endeffekt zwei Tropfen herunterkamen, hätte man nicht die paar Prüfungen durchziehen können, anstatt ein riesiges organisatorisches Chaos zu verursachen? 🤷🏻‍♀️

Im Nachhinein sind bekanntermaßen alle schlauer, aber das kann doch nicht gut ausgehen.

To be continued…

Jeden Sonntag erscheint ein neuer Artikel auf der Webseite. Bis der nächste herauskommt, könnten Sie auch diese interessieren:




Abonnieren Sie meinen Newsletter!


Silvia Ulivi

Humanistin mit einem unstillbaren Faible für Sprachsysteme, Literatur und Unterricht

0 Kommentare

Schreiben Sie einen Kommentar

Avatar placeholder

Ihre E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert