Seitdem ich mit meiner Familie nach Karlsruhe umgezogen bin, habe ich viel weniger Zeit, meiner freiberuflichen Arbeit nachzugehen, als vorher. Unsere Tochter hat keine Nachmittagsbetreuung und der Versuch, regelmäßig auf 6-7 Stunden Arbeit zu kommen, fühlt sich wie ein täglicher Kampf an. Kognitiv verstehe ich, dass 8 Stunden Arbeit am Tag eine willkürliche Zeit ist, die ich in vielen Phasen meines Lebens mühelos und gerne, in anderen gezwungenermaßen und mit verderblichen Folgen überschritten habe, gerade jedoch ein Ding der Unmöglichkeit sind. Dennoch hat man doch diese Zahl fest im Kopf eingebrannt und, wenn ich sie wiederholt nicht erreiche, lässt mich das Gefühl nicht los, dass ich nicht genug gemacht hätte.

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Allein an der Anzahl investierter Stunden kann man die eigenen Fortschritte allerdings auch nicht festmachen. Wie oft passiert es doch, dass man an einem eher unproduktiven Tag Stunden über Stunden für eine Aufgabe braucht, die an sich schnell erledigt wäre, wenn man nur knackig konzentriert wäre? Oft sitze ich zwar die festgelegte Anzahl an Stunden am Rechner, doch ich wage es am Ende nicht, einen Blick auf meine Browser-Chronologie zu werfen, weil ich weiß, wie deprimierend das wäre. Stunden reichen nicht. Man braucht nun mal Ergebnisse.

Am schönsten ist es doch, wenn ich mir To-Dos für die Woche setze, die meine übergeordneten Ziele auf sinnvolle Weise vorantreiben, und diese in der vorgegebenen Zeit abhaken kann. Herrlich! Doch das funktioniert nie. Na gut: Seltenst. Meistens hat man Aufgaben, die von der vergehenden auf die nächste Woche übertragen werden.

Unkonzentrierte Tage, unvorhersehbare Zwischenfälle, sich aufdrängende Aufgaben, aber auch schöne Überraschungen und interessante Chancen kommen ständig zwischen unsere tollen Pläne und ihre Umsetzung.

Ich für meinen Teil weiß, dass ich trotzdem den Plan brauche, um meine Arbeit zu strukturieren und wichtigere Aufgaben zu priorisieren. Dass dann nicht alles nach Plan läuft, ist sozusagen schon Teil des Plans. Die Frage, die ich mir heute aber stelle, ist: Ist mein Plan überhaupt gut? Oder liegt es manchmal am Plan selber, dass ich ihn nicht umsetzen kann?

Ich lasse mich oft von dem Gedanken beunruhigen, dass ich zu viele Ideen und zu wenig Zeit habe. Oft hinterlassen viel zu kurze Tage eine grundlegende Angst, dass ich viel mehr hätte tun sollen, um auch nur einen Bruchteil meiner Projekte und Ideen endlich umzusetzen. Abends dreht sich irgendwann der Kopf: Der Artikel wurde nur zur Hälfte verfasst, der Blogpost ist noch nicht vorgeplant, die Marketingstrategie für die Tätigkeit als Rednerin wurde nicht hundertprozentig umgesetzt, dem Gedicht fehlt der letzte Schliff, die Bibliothek ist nicht eingerichtet, die Vase ist nicht fertig angemalt, ich habe 16 Bücher gleichzeitig angefangen und das Kind hat noch keinen Schwimmkurs. Und the last time I checked hatte ich auch mal einen Mann. Ich habe ein Dutzend mir wichtige Projekte angefangen und versuche aus Angst, etwas aus den Augen zu verlieren, krampfhaft, alles gleichzeitig voranzutreiben.

Das Ergebnis ist: kein Ergebnis. 😭 Die Dinge, die eine feste Frist haben, werden fertig. Die anderen nicht.

Während ich gestern verzweifelt den Haushalt mitten in der Nacht erledigte – denn Schlafentzug ist bekanntermaßen der beste Weg, um Produktivität zu steigern (*bad advice*) –, habe ich folgenden Podcast gehört. Das war ein Interview von Cal Newport im Podcast Deep Dive von Ali Abdaal über verschiedene Konzepte, über die er immer wieder spricht, sowie über sein neuestes Buch Slow Productivity. Da mir andere Bücher von ihm, insbesondere Deep Work und So good they can’t ignore you gefallen und weitergeholfen hatten, habe ich gerne reingehört.

Es wurden u.a. zwei wesentliche Aspekte von Zeitmanagement angesprochen, die ich vermehrt beherzigen möchte:

  1. Man muss weniger machen, um produktiver zu sein.
  2. Die Komplexität des Projekts bestimmt die Deep-Work-Zeit.
  3. Ob man durchpowert oder den slow-and-steady Ansatz wählt, hängt vom Projekt ab.

1. Man muss weniger machen, um mehr zu schaffen

Im Interview wurde davon gesprochen, dass es viel günstiger ist, nur wenige aktive Projekte zu haben. Selbstverständlich hat man oft viele Ideen und viele Verantwortungsbereiche, aber die Projekte, an denen aktiv und kreativ gearbeitet wird, dürfen ca. 1-3 sein. Man kann nur 1-3 größere Projekte gleichzeitig pflegen.

Was macht man nun mit den anderen Projekten, Ideen und Aufgaben, denen man sich auch widmen möchte?

Diese werden zwar auch aufgeschrieben und dokumentiert, aber kommen erst dran, wenn sie aktiv werden, sprich wenn sie in die exklusive Gruppe des aktuell gespielten Trios aufgenommen werden.

Daran muss ich definitiv arbeiten.

2. Die Komplexität bestimmt die Deep-Work-Zeit

Wie ich oben schon erwähnt, hat Cal Newport den Begriff Deep Work, dem man mittlerweile wirklich in ganz unterschiedlichen Kontexten begegnet, geprägt. Damit ist eine Minimierung äußerer Ablenkungsfaktoren, um einer bestimmten, komplexen, hochwertigen Aufgabe eine festgelegte Zeit konzentrierter Arbeit zu widmen.

Dabei kann man bestimmte Tage in der Woche oder Wochen im Monat oder aber sogar Monate im Jahr für eine bestimmte Arbeit blocken. Der Gedanke, der bei dem Interview noch einmal deutlich formuliert wurde, ist, dass man nicht effektiv arbeitet, wenn man täglich versucht, zwischen zu vielen Aufgaben hin- und herzuswitchen. Soll heißen: Wenn ich ein Protokoll, zwei Artikel und eine Rede schreiben will, ist es beispielsweise effizienter, dem Protokoll einen konzentrierten Vormittag, den Artikeln jeweils eine oder zwei ganze Schreibwochen und der Rede zwei Tage zu widmen, als jeden Tag zu versuchen, alles gleichzeitig voranzubringen.

Ich neige oft dazu zu hoffen, dass ich jeden Tag alle Projekte ein bisschen vorantreiben kann. So funktioniert aber Konzentration nicht. Wenn man von Aufgabe zu Aufgabe hüpft und vielleicht noch zwischen den schöpferischen Phasen auch noch von einem Termin zum nächsten hetzt, dann wird man höchst unproduktiv bleiben.

Die Länge der Deep-Work-Phasen sind naturgemäß von der Komplexität der Aufgabe. Für ein Skript für ein YouTube-Video reicht ein Vormittag. Will man ein Buch schreiben, ist es hilfreich, wenn man sich über einen sehr langen Zeitraum den Musen hingeben kann.

In jedem Fall muss man sich aber für Phasen des Deep Work zurückziehen, sodass man konzentriert arbeiten kann, und ein Projekt als Priorität behandeln.

3. Durchpowern oder slow-and-steady?

Es gibt zwei Arten von Projekten: einmalige und fortlaufende Projekte. Die Entscheidung, ob man bei den mit einem Projekt verbundenen Aufgaben durchpowert, indem man beispielsweise nachts arbeitet, den Sport überspringt oder Freunde vernachlässigt, hängt stark davon ab, mit welchem Typ von Aufgabe man gerade zu tun hat.

Einmalige Projekte, die man zu Ende führen, abschließen und abgeben kann, sind potenziell solche, bei denen es mal sinnvoll sein kann, übermäßig viel Zeit und Energie auf einmal zu investieren. Wenn das Ergebnis abgegeben ist, ist man fertig.

Oft ist aber Projekte derart, dass man sie nie abschließt. Aufgaben wiederholen sich im fortlaufenden Kreis. Unterrichtsvorbereitung, jegliche Form von Content, Haushalt usw. sind fortlaufende Projekte. All das sind Aufgaben, die von Natur aus nie fertig werden. Bei solchen Aufgaben macht es gar keinen Sinn, auf Durchpowern zu setzen – sie werden eh nicht fertig! –, sondern man muss unbedingt nachhaltige Strategien entwicklen, um die wiederkehrenden Aufgaben im vorgesehenen Rhythmus zu bewältigen.

Der Tipp lautet also folgendermaßen. Wenn man gerade ein Buch schreibt oder einen Film dreht, kann man sich auch mal stressen, um dem Projekt in überschaubarer Zeit ein Ende zu setzen. Schreibt man aber eine regelmäßige Kolumne für eine Zeitschrift oder will man ein YouTube-Video pro Woche veröffentlichen, kann die gleiche Strategie nicht langfristig funktionieren.

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Silvia Ulivi

Humanistin mit einem unstillbaren Faible für Sprachsysteme, Literatur und Unterricht

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