Der Herbst ist da! Während uns die Natur ihr jüngstes buntes Spektakel für dieses Jahr bietet, ist es an der Zeit, nicht nur ihre letzten prächtigen Früchte zu genießen, sondern auch darüber nachzudenken, wie wir das Beste aus den übrigen knapp 90 Tagen ziehen, bis 2025 überraschend um die Ecke kommt.

Als ich ein kleines Mädchen in der Toskana war, hatten wir einen wunderschönen Granatapfelbaum im Garten, dessen Stamm als Setzling geflochten worden war und mit den Jahren zu einem starken Holzzopf zusammengewachsen war. Im Spätsommer ging es mit den Granatäpfeln los, denn der Baum trug viel mehr Früchte, als wir zu verspeisen und verschenken vermochten. Die Schalen wurden schnell leuchtend rot und brachten, indem sie noch an den Zweigen hängend aufbrachen, unzählige pralle Samen zum Vorschein – ein wunderschöner Anblick!

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Das kühlere Wetter hat mich sehnsüchtig an diese wundersame Frucht zurückdenken lassen, ein wahres Wunder der Natur, das viel mehr ist als nur ein exotisches Obst, sondern seit alters her durch seine symbolische Tiefe und seine Verbindung zu den großen Themen des Lebens – Fruchtbarkeit, Schönheit, Unsterblichkeit, Tod – Menschen fasziniert.

Der Granatapfel, dessen saftige, rote Kerne unter einer dicken, ledrigen Schale verborgen liegen, ist eine wunderschöne Frucht, die als kraftvolles und ambivalentes Symbol in die Ikonographie eingegangen ist. Die robuste Schale, die die essbaren Samen umschließt, schützt und bewahrt sie, ähnlich wie die Erde Samen behütet, bis der Zeitpunkt gekommen ist, dass sie hervortreten.

Die Schönheit der Natur wird oft mit ihrer Fruchtbarkeit gleichgesetzt. Es überrascht daher nicht, dass der Granatapfel in der griechisch-römischen Mythologie in Verbindung mit weiblichen Gottheiten auftaucht, die für Schönheit, Leben und Fruchtbarkeit stehen. Zu den Attributen der Hera, die als Schwester und Ehefrau des Zeus die Göttin der Ehe und des Schutzes der Frauen ist, zählt der Granatapfel als Symbol der Fruchtbarkeit. Ähnlich wird er in manchen Quellen ebenfalls mit Aphrodite, Göttin der Liebe und der Schönheit, assoziiert.

Bernini, Ratto di Proserpina (1621-22); Galleria Borghese Roma.

Diese Frucht verkörpert also einerseits lebensspendende weibliche Kraft, ist andererseits jedoch auch ein chthonisches Zeichen. Der Granatapfel ist nämlich mit dem Persephone-Mythos eng verbunden. Als Hades, Gott der Unterwelt, sich in Persephone, Tochter der Fruchtbarkeitsgöttin Demeter, verliebt, entführt er sie in sein Schattenreich. In ihrer verzweifelten Wut sucht Demeter überall nach ihrer Tochter und verursacht solch eine verheerende Hungersnot, dass schließlich Zeus eingreift, damit Persephone ins Diesseits zurückkehrt. Da Persephone jedoch in der Unterwelt einige Granatapfelsamen zu sich genommen hat, ist sie zum Reich der Schatten unauflöslich verbunden. Als Kompromiss darf sie zwar einen Teil des Jahres auf der Erde verbringen, „geht“ aber jeden Herbst wieder „zum Orkus hinab“, um es mit Schiller zu sagen. So erklärt der Mythos ätiologisch den Wechsel der Jahreszeiten und der Granatapfel wird dabei zu einem Symbol für den unaufhörlichen Kreislauf von Leben und Tod in der Natur.

Auch in der christlichen Kunst finden wir den Granatapfel, insbesondere bei der heiligen Maria. In Botticellis Madonna della Melagrana symbolisiert er nicht nur ihre mütterliche Rolle Jesu gegenüber, sondern auch das Geschenk des Lebens für die Menschheit. So wird die Frucht gleichzeitig zum Sinnbild des Lebens, das über den Tod hinaus fortbesteht.

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Die häufige Präsenz von Granatäpfeln in antiken Grabbeigaben und auf Gräbern lässt sich mit Sicherheit auf eine Lebenssymbolik zurückführen, hat aber paradoxerweise zu einer starken Ambivalenz beigetragen. Die Frucht wurde so zum Symbol auf der einen Seite von Fruchtbarkeit, Wohlstand und Leben, auf der anderen Seite von Tod, Übergang und Unsterblichkeit wurde.

Vielleicht erinnert das leuchtende Rot des Saftes an Blut, das das Leben nährt, aber auch an Wunden denken lässt. Die Dualität des Granatapfels könnte allerdings auch auf eine Verwechslung mit dem Mohn, Blume des Schlafs und Vergessens, in manchen bildlichen Darstellungen zurückgeführt werden. So sind Leben und Tod, Vitalität und Verewigung eng mit dieser Frucht verbunden.

Mohnsamen

Nicht bloß Symbol von Unsterblichkeit! Der Granatapfel wurde verwendet, um einen gelben Farbton zu gewinnen, der in der antiken arabischen Textilkunst, wie in der Produktion von Wandteppichen, zum Einsatz kam. Die Idee der Unvergänglichkeit und des ewigen Lebens kommt nicht bloß durch die Kunst zum Ausdruck, sondern wird erst durch die Kunst konkret umgesetzt.

Der Herbst ist da! Und er schenkt uns noch wunderbare, lebensspendende Früchte. Doch Persephone macht sich gerade auf den Weg in das Schattenreich, dessen Königin sie unwillentlich wurde. Es wird kühler und dunkler; die ganze Natur scheint sich langsam zurückzuziehen. Vielleicht verspüren wir auch den Drang, uns wie ein Granatapfel dick zu umhüllen und zu schützen. Gleichermaßen ist es aber auch höchste Zeit, die letzten glänzenden Früchte des Jahres zu ernten.

Der Kreis der Natur lehrt uns, dass im Ende immer ein neuer Anfang liegt. Nun ist der Oktober ist gekommen und damit hat das letzte Quartal des Jahres angefangen. Wie wollen Sie es zum Fruchten bringen? Welche Früchte soll 2024 noch für Sie tragen? Weniger als 90 Tage verbleiben, bis die Korken in der Silvesternacht knallen. Das ist eine gute Gelegenheit, um an Ihre guten Vorsätze für das Jahr 2024 zurückzudenken, den bisherigen Jahresverlauf Revue zu passieren und das restliche Jahr so zu planen, dass Sie aus den nächsten drei Monaten das Beste herausholen!

Ich wünsche Ihnen eine schöne Herbstzeit, in der Sie in der sicheren Verborgenheit eines robusten Schutzes lebendige Fülle und erfüllende Vitalität genießen.


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Silvia Ulivi

Humanistin mit einem unstillbaren Faible für Sprachsysteme, Literatur und Unterricht

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