Nichts kann uns in andere Zeiten versetzen wie ein Duft. Erreicht die richtige Essenz unsere Nase, sind wir im Nu gedanklich in unseren Erinnerungen: Plötzlich kann eine Reise, der Hochzeitstag oder der verstorbene Opa uns wieder ganz ganz nah sein.

Ich bin vor vielen Jahren aus Italien nach Deutschland ausgewandert. Obwohl ich die Entscheidung nie bereut habe, lässt sich ein bisschen Heimweh hier und da nicht vermeiden. Dabei ist es so, dass man manchmal aktiv zurückblickt, weil Weihnachten oder irgendwas ist, was uns an die Vergangenheit denken lässt. Manchmal aber begegnet uns zufällig ein unerwartet vertrauter Duft, der uns ohne Vorwarnung in die Vergangenheit katapultiert.

Ich kann eine gewisse Vorliebe für Kosmetik und Parfümerie nicht verleugnen und schnuppere daher gerne immer wieder mal an neuen Düften. Dabei ist es mir mehrfach passiert, dass ich von einem Parfum in die Toskana zurückversetzt wurde und ganz dolle Heimweh bekam.

Sommer, Sonne, Strand

Viele Düfte, gerade wenn sie Kokosnuss und exotische Blüten wie Ylang-Ylang oder Tiare als dominante Note haben, erinnern an Sonnencreme und daher an den Strandurlaub. Ich war noch nie ein großer Fan von Herumliegen und In-der-Sonne-Braten, aber wenn das Meer so nah liegt, wie wenn man im Herzen der Toskana wohnt, verbringen auch Schreibtischtiere wie ich den einen oder anderen Sonntag am Strand. Im Meer zu schwimmen, finde ich schön. Und wenn ich mich dafür ab und zu durch Sonnenstrahlen, Mitmenschen und Sand durchkämpfen muss, so be it.

Die Duftnoten laut Parfumo:

Duftnoten von Guerlain, Terracotta

Als mein bestelltes Pröbchen von Terracotta (Guerlain) ankam, hatte ich es überhaupt nicht erwartet: Mit einem Sniff war ich in Tirrenia am Meer. Dieser Duft riecht nach Strand und Sommer.

Ich mochte den Duft sehr, gekauft habe ich ihn jedoch nie, weil ich Angst hatte, dass dieser Geruch bald andere Assoziationen hervorrufen könnte, wenn ich ihn in einem anderen Kontext trage. Nur aus diesem Grund habe ich darauf verzichtet.

Keine Gerberei, sondern ein Ledergeschäft

Lederproduktion ist in der Toskana hoch im Kurs. An keinem anderen Ort der Welt habe ich jemals so schöne und hochwertige Lederprodukte gesehen wie dort. Taschen, Schuhe, Geldbeutel u. ä.: Wenn man so etwas aus Leder sucht, wird man in der Toskana nicht enttäuscht.

Ich glaube, dass der Gerbereigeruch den meisten Deutschen unbekannt ist, oder besser gesagt: erspart wurde. Wenn man Kuhhäute säubert und gerbt, stinkt es nämlich unheimlich in der ganzen Gegend. Da entsteht ein sehr penetranter, animalisch-chemischer Gestank, der von manchen toskanischen Industriegebieten nicht wegzudenken ist. Aus so einem Gebiet komme ich und das stinkende Dorf, in das meine Familie – die schöne rurale Landschaft verlassend – gezogen ist, als ich 11 war, kann ich beim besten Willen nicht vermissen.

Auf der anderen Seite riechen Ledergeschäfte ganz anderes. Sie haben zwar auch einen ganz distinktiven, animalischen Geruch, diesen finde ich persönlich aber überhaupt nicht unangenehm. So wie in einem toskanischen Ledergeschäft riecht Tom Fords Tuscan Leather:

Als ich den Namen las, war ich sehr skeptisch, aber tatsächlich ist es den Parfümeuren gelungen, den Riecheindruck von toskanischen Lederprodukten sehr gut zu treffen. Ich trage keine sehr animalischen Düfte, aber für die Lederfans ist er bestimmt etwas. Obwohl viele den Duft für die unerwartete Himbeernote im Kopf loben, rieche ich sie ehrlich gesagt kaum heraus, vielleicht weil das Leder mich zu sehr mit Erinnerungen beschäftigt.

Duftpyramide von Tom Ford, Tuscan Leather

In der Kirche

Als ich Kind war, ging ich regelmäßig mit meiner Mutter in die Kirche, denn das war ihr sehr wichtig. Meine Lieblingsmesse im Jahr war die Palmsonntagsmesse, weil der Priester nach der Prozession immer sehr großzügig mit dem Weihrauch umging. Die Messe fand nicht in der größeren Dorfkirche ganz oben auf dem Hügel, sondern in einer anderen kleineren, in der Dorfhauptstraße gelegenen statt. Naja, besagtes Dorf hat eigentlich nur EINE Straße und EINEN Platz, aber zwei Kirchen. Italien halt. Wie gesagt, Prozession und Messe am Palmsonntag fanden immer unten statt, wahrscheinlich damit die ganzen Dorfomis teilnehmen konnten, ohne die steile Treppe zwischendurch laufen zu müssen. Ich fand es immer faszinierend mitzusehen, wie der Priester den Weihrauchkessel zum Schwenken brachte, dessen Deckel dann kurz aufging, wobei sich kleine, weiße Rauchwolken in der halbdunklen Kirche ausbreiteten. Die anderen Kinder konnten den aufdringlichen Geruch nicht ausstehen, ich aber mochte ihn schon damals sehr.

Auch in Parfums ist Weihrauch eine meiner Lieblingsnoten. Da er sehr leicht herauszuriechen ist, spielt er oft eine unterstützende Rolle und ist in Düften mit „im Hintergrund“ zu vernehmen. Ein sehr schöner Duft, den ich mal hatte, in dem der Weihrauch ganz dezent zu riechen ist, ist Divine Vanille von Essential Parfums, ein ganz toller Unisex vermarktetes Parfum.

Will ich aber Weihrauch hoch 10 wie in der kleinen toskanischen Kirche damals, dann greife ich zu Mystic Incense von The Merchant of Venice. Das ist hauptsächlich Weihrauch, unterstützt von dezenten gourmandigen Noten. Als ich ihn das erste Mal in einer Parfümerie in Florenz probiert habe, wusste ich, dass ich ihn haben musste. Er riecht nach Kindheit, nur geschmeidiger.

Duftpyramide von The Merchant of Venice, Mystic Incense

Rosengarten

Im Gegensatz zu mir hatte meine Mutter einen grünen Daumen. Ihre wahre Leidenschaft war der weitläufige Gemüsegarten, den sie mit großem Stolz und Ertrag anbaute; was ich aber am schönsten fand, war der kleine, von zwei hohen Magnolien umrahmte Rosengarten, den sie mit bewundernswerter Bravour jedes Jahr wunderschön zum Aufblühen verhalf. Dann roch es dort entzückend und es war mir ein Genuss, an den zarten Blumen zu schnuppern. Da ich als Kind viel malte, wurde mir oft ein Tischlein neben die Rosen gestellt, damit ich dort meine Kunstwerke vollbringen konnte.

Obwohl die Düfte, die Rose als Note auflisten, unzählig sind, habe ich bisher nun einen gefunden, den mich an den alten Rosengarten erinnert, und zwar von Le Labo den Rose 31.

Rosendüfte können nämlich in viele verschiedene Richtung gehen: starke, orientalische Rosen-Oud-Kombination, marmeladig-süße Gourmandinterpretation, seifige Großmutterrose (im besten Sinne!), sexy und selbstbewusst usw. usf.

Rose 31 ist anders und vermag mich zurück an mein Tischchen zu versetzen, an dem ich stundenlang in meinen Wasserfarben und Gedanken verloren saß. Da riecht es weder stark noch künstlich, sondern echt rosig und auch ein bisschen erdig und holzig.

Duftpyramide von Le Labo, Rose 31

Italien am Frauentag

Mimosa aus dem Haus Fragonard haben mir Verwandte aus ihrem Frankreichurlaub mitgebracht, ohne zu ahnen, was der Duft auslösen würde. Mimosa riecht genau so, wie der Name vermuten lässt: nach Mimose. Die sogenannten falschen Akazien sieht man sporadisch auch in Mitteleuropa, aber sie überleben am besten und blühen am schönsten im warmen Süden. Im Februar und März verwandeln sich die Knospen an den Bäumen in unzählige zarte, wohlriechende, gelbe Kügelchen. Sie sehen nicht nur wunderschön aus, sondern erfüllen die Luft mit ihrem süßen, pudrigen, unverwechselbaren Duft.

Am 8. März, am Frauentag, pflegen italienische Männer die wichtigen Frauen ihres Lebens mit einem Streußchen Mimosa zu beschenken.

Duftpyramide von Fragonard, Mimosa

Obwohl auch andere florale Noten aufgelistet sind, richt dieser Duft von Fragonard für meine Nase ziemlich authentisch nach Mimose. Wunderschön!

Da die aktuelle Lage Reisen nicht großartig zulässt, hoffe ich, dass Sie diese olfaktorische Wanderung durch die Toskana genießen konnten.

Lesen Sie mehr über diese atemberaubende Region im Artikel 10 Dinge, die ich an der Toskana vermisse!

Jeden Sonntag erscheint ein neuer Artikel auf der Webseite. Bis der nächste herauskommt, könnten Sie auch diese interessieren:



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Silvia Ulivi

Humanistin mit einem unstillbaren Faible für Sprachsysteme, Literatur und Unterricht

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