1. Es gibt kein Recht auf Glück

Was macht der Mensch, sobald er den Mutterleib verlässt? Er weint. Jeder lebende Mensch hat eine Garantie auf Schmerz und Trennung; Schmerz ist der gemeinsame Nenner menschlicher Erfahrung.

Menschen haben kein Recht darauf, glücklich zu sein. Nicht zufällig wird in der amerikanischen Declaration of Independence das Recht festgehalten, nach Glück zu streben und nicht Glück zu haben. Niemand hat ein Recht darauf, glücklich zu sein.

We hold these truths to be self-evident, that all men are created equal, that they are endowed, by their Creator, with certain unalienable rights, that among these are life, liberty, and the pursuit of happiness.

Connecticut’s Official State Website.

2. Glück ist oft eine Entscheidung

Der Gedanke, dass Glück von äußeren Faktoren und Umständen abhängig ist, ist nur zu einem gewissen Grad richtig. Misere, Gewalt, Ausweglosigkeit, Krankheit, Trauer verursachen selbstverständlich negative Gefühle und verderben womöglich unser Glück. Doch über ein gewisses Maß hinaus beeinflussen uns externe Faktoren nicht mehr in entscheidendem Maße.

Wenn sich jemand von 0 € Verdienst auf 40.000 € Verdienst im Jahr verbessert, wird er signifikant glücklicher sein; aber von 2 Millionen auf 2,5 Millionen? Mäh. 500.000 € sollten doch einen größeren Unterschied machen als 40.000 €, aber dem ist nicht so. Es ist nicht der äußere Faktor, sondern der Unterschied für unsere innere Einstellung, die entscheidend ist.

Glück ist oft eine Frage von innerer Einstellung. „Positivity! Positivity!“, höre ich schon schreien. Nein, das meine ich nicht. Ich weiß nicht, wie es Ihnen geht, aber ich finde diese ganzen oberflächlichen Positivity-Bewegungen zum Kotzen. Wir kommen noch mal dazu bei Punkt 8.

Ich hatte diese Woche einen von solchen Tagen, an denen alles schief zu laufen scheint:

  • Mein alter Rechner, der kurz davor war, den Geist komplett aufzugeben, hat die Arbeit von zwei Tagen unwiderruflich gelöscht. 😱
  • Ein Mitmensch hat mir eine unnötig unfreundliche Nachricht geschickt. 😡
  • Ich habe die Laktasetabletten von meiner Tochter zu Hause vergessen.😰
  • In der Stadt habe ich den Rechner, den ich kaufen wollte, nicht gefunden und bin umsonst dahin gefahren, um letztendlich doch im Internet zu bestellen.🤨
  • Der Hund hat im Haus gekackt. 😧
  • Ich bin an die Decke gegangen, als ich erfahren habe, dass in der Schule schon wieder Checker Tobi geguckt wurde. 😤

Ich habe mich tierisch geärgert, denn externe Faktoren brauchen uns trotz aller Positivity- oder New-Stoicism-Bewegungen nicht klan zu lassen.

Was an uns liegt, ist, den Schmerz zu erkennen und zu akzeptieren, um sich dann auf produktivere Aspekte konzentrieren zu können. In meinem Fall habe ich mich dem schamlosen Venting bei ein paar Freundinnen gewidmet… bis ich festgestellt habe: Ich habe tatsächlich mehrere Menschen, die mich so lieb haben, dass sie bereit sind, sich den kleinlichen Scheiß anzuhören! Da war ich doch sehr dankbar und konnte auch mit dem Reframing weitermachen: Ich habe das Geld, mir einen neuen Computer zu kaufen, wenn ich ihn brauche; ich habe mir die Zeit nehmen, eine Runde in der Stadt zu schlendern; ich habe eine ganz tolle Tochter, um die ich mich kümmern darf usw.

Der Schlüssel war nicht, nur das Positive sehen zu wollen. Mit einem Ist doch nicht so schlimm wäre ich nicht weitergekommen. In dem Moment WAR es für mich nun mal schlimm. Es geht eher darum, äußere Realität und innere Gefühlswert, wie sie sind, radikal zu akzeptieren.

Akzeptieren? Aber wenn etwas schlecht ist, will ich das doch nicht akzeptieren!

Doch! Der Denkfehler, den wir oft machen, ist die Gleichsetzung von Akzeptanz und Resignation. De facto können wir nur das vernünftig angehen, was wir akzeptiert haben. Wenn wir zum Beispiel wütend werden und nicht wütend sein wollen, was hilft mehr: die Wut zu erkennen und ein in der Situation vertretbares Verhalten zu wählen, bis man den wahren Gründen nachgehen kann, oder sich zu sagen, dass man gar nicht wütend sein muss, sollte oder darf?

Etwas zu akzeptieren, heißt nicht, es nicht ändern zu wollen, sondern nur es wertungsfrei so sehen zu können, wie es ist.

Glück kommt oft nach der Entscheidung, die Realität zu akzeptieren.

Dieses Buch von Tara Brach – Radical Acceptance. Embracing Your Life with the Heart of a Buddha – fand ich in der Hinsicht hilfreich.

3. Das Leben ist unfair

Manche Menschen ist glücklicher als andere.

Das Leben ist unfair.

Deal with it.

In der Psychologie spricht man diesbezüglich gerne von Set-Point – einem vorgegebenen Grad an Glück, zu dem jeder Mensch jeweils zurückkommt und von Individuum zu Individuum sehr unterschiedlich sein kann. Das mag sicherlich stimmen, doch dieser Gedanke hilft mir persönlich nicht so sehr, denn wie Hector im schönen Buch Hectors Reise oder die Suche nach dem Glück als Erstes herausfindet:

Vergleiche anzustellen ist ein gutes Mittel, sich sein Glück zu vermiesen.

François Lelord, Hectors Reise oder die Suche nach dem Glück

4. Wenn, dann funktioniert nicht

Da Glück in viel geringerem Maße, als uns vielleicht lieb wäre, von unseren Lebensumständen abhängig ist, ist es auch nicht durch das Erreichen externer Faktoren zu erzielen.

Wenn ich mehr verdiene, …
Wenn ich X kaufe, …
Wenn ich eine Freundin finde, …
Wenn ich mir X gönne, …
Wenn ich 10 Kg verliere, …
Wenn ich endlich X fertig mache, …
… dann werde ich glücklich sein!

Das ist gelogen.

5. Glück ist eine flüchtige Erfahrung

Jeder kennt den Spruch Die Zeit heilt alle Wunden. Ja, Gefühle ändern sich mit der Zeit, aber nicht nur negative. Glück, Schmerz, Wut, Dankbarkeit, Groll, Behagen… alles vergänglich.

Auch Glück ist ein flüchtiger Zustand. Menschen können nicht lange glücklich sein, denn wir adaptieren schnell und werden dann wieder unzufrieden. Das ist aber gut so, denn nur dieser Drang, unsere Situation ständig zu verbessern, führt uns dazu, uns für etwas Sinnvolles Mühe zu geben.

Ich bin vor wenigen Monaten in ein wunderschönes Haus mit Garten am Rande des Schwarzwaldes umgezogen und habe den ganzen Sommer damit verbracht, mich in den Arm zu kneifen, um zu gucken, ob ich von diesem schönen Traum aufwachen würde. Jeden Morgen wachte ich mit Gefühlen von Glück und Dankbarkeit auf und glotzte erst mal lange ungläubig um mich herum. Mittlerweile ist das Glück nicht mehr so ausgeprägt: Ich bin noch froh und dankbar, doch langsam gehen mir die paar noch nicht ausgepackten Umzugskartons und die hie und da noch fehlende Einrichtung auf den Keks. Und das ist gut; sonst könnte hier nichts fertig werden.

Um jedoch Punkt 2 treu zu bleiben, verbringe ich jeden Tag ein bisschen Zeit dabei, die vielen Vögel zu beobachten, die sich in unserem Garten aufhalten. Dass ich schon so viele gesehen habe und als Laie identifizieren konnte, macht mich sehr glücklich:

  • Grünspecht
  • Blaumeise
  • Amsel
  • Zilpzalp
  • Zaunkönig
  • Hausrotschwanz
  • Rotkehlchen
  • Eichelhäher
  • Spatz
  • Grauschnäpper
  • Mauersegler
  • Rabe

Lesen Sie auch: Was mich der größte Umzug meines Lebens gelehrt hat.

6. Egozentrik verdirbt das Glück

Wir werden alle schnell sterben und genauso schnell vergessen sein. Egozentrismus ist ein sicherer Weg, sich ins eigene Unglück zu stürzen. Man ist für sich genommen nicht so wichtig.

7. Erlebnisse machen glücklicher als Gegenstände

So einfach ist das. Man sollte lieber in Erlebnisse und Erfahrungen investieren als in Gegenstände. Wenn man eines Tages alt und knorrig ist, wird man an die schönen Reisen, die Zeit mit Freunden, die tollsten Beziehungen, die lohnenswerte Anstrengungen, die zu Erfolg geführt haben, dankbar zurückdenken, nicht an einen x-beliebigen Gegenstand, den man irgendwann gekauft hat.

8. Es gibt drei Arten von Glück und Sie wählen oft die falsche

Glück ist kein einheitliches Gefühl von Zufriedenheit und Freude, sondern es gibt, wenn man dem Buch 101 essays that will change the way you think von Brianna Wiest Glauben schenken will, grundsätzlich drei Arten von Glück – Vergnügen, Dankbarkeit, Exzellenz – und man braucht eine Balance aus allen drei, um ein erfülltes Leben zu führen.

  1. Vergnügen ist das sogenannte hedonistische Glück. Dazu gehört alles, was schnell zu Glückshormonen führt, wie zum Beispiel die Befriedigung sinnlicher Genüsse, anspruchslose Unterhaltung oder Retail Therapy.
  2. Dankbarkeit und Wertschätzung; das eigene Kind anschauen; auch in schwierigen Zeiten für Freunde und Unterstützung dankbar sein …
  3. Exzellenz (eudaimonisches Glück): Diese Form des Glücks resultiert aus der Verwirklichung von Potenzial, Zielen und persönlichem Wachstum. Es geht darum, in Bereichen, die uns wichtig sind, exzellent zu sein und ein tieferes Gefühl von Sinn und Zweck zu finden. Diese Art von Glück erfordert oft Anstrengung, bringt jedoch nachhaltige Erfüllung, weil sie mit unserem inneren Wert- und Zielsystem verbunden ist.

Oft zu viel auf Vergnügen gesetzt, weil das eine Form von Glück, die nicht mit Anstrengung verbunden ist. Das Streben nach Exzellenz und die Nutzung unserer göttlich-kreativen Kraft sind lohnenswert, aber zuerst anstrengend. Die Dankbarkeit ist ja schön und gut, aber die Dinge, um die man zutiefst dankbar sein kann, wie sinnstiftende zwischenmenschliche Beziehungen, werden nur mit einer guten Portion Arbeit erreicht und gepflegt. Die einzige Form von Glück, das nicht zwingend Schmerz vorab erfordert, ist das hedonistische Vergnügen. Doch auf Vergnügen folgt oft Schmerz in Form von Reue, Stress usw.

Man braucht eine Balance aus allen drei Formen, damit sie nicht entarten:

  1. Aus Vergnügen wird sonst: Binge-Watching, Binge-Eating, Alkoholismus, Retail Therapy, Death-Scrolling, Pornosucht usw.
  2. Aus Dankbarkeit wird blinde Positivity, Verdrängung, People-Pleasing usw.
  3. Aus Exzellenz wird Workaholic-Verhalten, Toxic Productivity usw.

9. Schmerz und Glück sind untrennbar

Schmerz und Glück ist oft voneinander untrennbar.

Mit Vergnügen kommt oft die Reue, übertrieben zu haben, oder das schlechte Gewissen, etwas anderes vernachlässigt zu haben. Selbst wenn wir unserem Maß nichts vorzuwerfen haben, ist der Weg zum Vergnügen manchmal gar nicht so spaßig, wie das Einkaufen von Zutaten für eine besondere Mahlzeit oder der ewig lange Flug zum exotischen Urlaubsziel.

Auch Dankbarkeit ist nicht immun vor Schmerz, denn alles, was im Leben lohnenswert ist, ist anstrengend. Es sind schließlich vor allem Beziehungen, um die wir besonders dankbar sein können: das Gefühl, geliebt, angenommen und für andere Menschen relevant zu sein. Doch alle Relationen, um die man dankbar sein kann, erfordern auch der Pflege und Anstrengung. Man kann keine langfristige Liebesbeziehung haben, über die man dankbar reflektiert, wenn man sich nie auf unangenehme Gespräche einlassen kann. Man kann nicht das unermessliche Glück genießen, das eigene friedvoll schlummernde Baby zu beobachten, ohne sich der strapaziösen Pflege desselben auszusetzen. Man kann keine Freunde haben, wenn man nie bereit ist, etwas für sie zu tun. Manchmal entstehen Zugehörigkeitsgefühle gerade wegen Schwierigkeiten, die man gemeinsam gemeistert hat.

Dass das Streben nach Exzellenz zwar mit Erfolg gekrönt sein und uns in der Mache mit dem angenehmen Gefühl von Flow belohnen kann, aber trotzdem viel Überwindung und Anstrengung mit sich bringt, ist ja allen bekannt.

10. Glück heißt, das eigene Leben zu transzendieren

Glücklich macht uns das, was uns wichtig macht. Wir brauchen Tätigkeiten, um unsere kleine, an sich unbedeutende Lebenserfahrung zu transzendieren.

Aus diesem Grund ist der beste Weg zum Glück die Dienstbereitschaft: etwas tun, worin wir gut sind und womit wir anderen dienen.

Denn das vereint alle drei Formen von Glück: Exzellenz in unserer Kompetenz und Handlungsfähigkeit, Dankbarkeit, das eigene gute Werk sowie das entstandene Netzwerk an Menschen betrachten zu können; Vergnügen im Dopaminausschuss, von anderen Dankbarkeit und Wertschätzung für unsere Mühe zu erfahren.

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Kategorien: Selbstreflexionen

Silvia Ulivi

Humanistin mit einem unstillbaren Faible für Sprachsysteme, Literatur und Unterricht

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