Jeder Mensch strebt nach Glück. Doch warum scheint es so schwer zu sein, es zu erreichen? Liegt es vielleicht daran, dass wir den falschen Dingen hinterherjagen? Dopamin-Kicks, Feierabendbier, Instagram oder blinde Positivität – all das mag uns kurzfristig ablenken, doch es führt uns nicht zur wahren Glückseligkeit. Wäre es so einfach, wären wir schon längst alle im Nirwana!

In diesem Beitrag möchte ich Ihnen ein Framework vorstellen, mit dem Sie effizient und sinnstiftend nach Glück streben können – ganz ohne oberflächliche Positivity oder sonstigen Bullshit. Lassen Sie uns gemeinsam entdecken, was Sie wirklich glücklicher machen wird.

Drei Arten von Glück und ihre Entartungen

Um ein Modell zu entwickeln, das tatsächlich zu mehr Glückseligkeit führt, stellt sich die Frage: Was ist überhaupt Glückseligkeit? Im Buch 101 Essays That Will Change the Way You Think behauptet Brianna Wiest, es gebe drei Arten von Glück. Ich finde diese Einteilung sehr hilfreich und werde mithilfe einiger Philosophen und Denker zeigen, dass Glück als Hedonismus, Eudaimonia oder Verbundenheit vorkommt. Jede Form von Glück kann jedoch auch entarten!

Sie kennen vielleicht Darstellungen des Verfassungskreislaufs, denen gemäß die drei Verfassungsformen – Monarchie, Aristokratie, Demokratie – zwangsläufig in ihre Entartungen – Tyrannis, Oligarchie, Ochlokratie – verfallen und sich abwechseln, wie wir sie bei Polybios finden:

Im Folgenden möchte ich Ihnen die drei Arten von Glück und ihre Entartungen nahebringen, um schließlich ein konkretes Framework zu zeigen, mit dem Sie nachhaltig glücklicher leben werden.

1) Hedonismus

Der erste Weg zum Glück ist der Hedonismus, der sich auf die Maximierung von Freude und die Minimierung von Leiden konzentriert. Das Konzept klingt zunächst simpel – doch gerade das macht es so anfällig für Missverständnisse.

Was ist der Hedonismus wirklich?

Hedonistisches Glück bedeutet nicht, jedem Impuls nachzugeben oder in einem Rausch des Vergnügens zu leben. Tatsächlich verstand der antike Philosoph Epikur unter Hedonismus etwas viel Tieferes: eine bewusste und langfristige Gestaltung von Freude nach ethischen Prinzipien. Wahre, nachhaltige Freude liegt nie in maßlosen Exzessen oder kurzfristigen Genüssen, sondern kann nur durch Weisheit und Mäßigung erreicht werden. Es geht ganz explizit um eine gewisse Gelassenheit, die eine kluge Auswahl dessen, was uns langfristig guttut, ermöglicht. Dieser innere Frieden, den Epikur Ataraxie nannte, ist das höchste Ziel der epikureischen Philosophie. Es handelt sich um einen Zustand, in dem man im Einklang mit sich selbst und den Umständen lebt – frei von innerer Unruhe und unnötigem Schmerz.

Die Entartung des Hedonismus: Sucht

Leider verwechseln wir Hedonismus oft mit seiner Entartung: Es geht nicht um den schnellen Dopaminausstoß! Exzessives Feiern, unkontrolliertes Shoppen, stundenlanges Scrollen durch Social Media, Junk Food oder andere Reize und Ablenkungen mögen kurzfristig Freude bereiten, hinterlassen uns jedoch leerer und unzufriedener als zuvor.

Die Entartung hedonistischen Glücks ist die Sucht.

Ohne die Fähigkeit, unvermeidlichen Schmerz zu akzeptieren und ihm mit Gelassenheit zu begegnen, suchen wir oft Zuflucht in flüchtigen Freuden und verfallen dabei leicht in mehr oder minder ausgeprägte Suchtverhalten. Beispiele für solche Entartungen hedonistischen Glücks, die mittel- und langfristig zu Schmerz führen, sind:

  • Rauchen
  • Saufen
  • Eskapismus durch Unterhaltungsmedien (Serienmarathons, übermäßiger Konsum von Videospielen)
  • Death-Scrollen
  • Binge-Eating
  • Pornosucht
  • Retail-Therapie und übermäßiges oder gar zwanghaftes Einkaufen
  • usw. usf.

Diese Flucht vor Schmerzen durch unkontrollierten Genuss führt dazu, dass wir langfristig mehr leiden, statt uns tatsächlich glücklicher zu fühlen.

Was können wir von Epikur lernen?

Die Frage, die sich stellt, ist immer ethischer Natur, nämlich: Was sollen wir tun, was sollen wir lassen?

Und diese Fragen sind in der heutigen Welt voller Ablenkungen und leicht verfügbarer Genüsse mehr denn je relevant. Epikur lehrte, dass Glückseligkeit nicht im Überfluss liegt, sondern in Erkenntnis, Maß und ethischen Werten. Nur durch bewusste Entscheidungen, die langfristig zu einer Minimierung von Schmerz führen, können wir wahre Glückseligkeit finden. Dazu ist Seelenruhe notwendig, um den unvermeidlichen Schmerz akzeptieren zu können. Sonst wird Vergnügen zur Sucht oder, wenn Sie das Wort Sucht nicht gerne hören: zur Flucht.

Wer glückselig ist, muss sich nie ablenken.

Silvia Ulivi

Wir schließen mit den Worten, die Epikur auf dem Sterbebett (oder besser in der Sterbewanne?) gesagt haben soll:

χαίρετε, καὶ μέμνησθε τὰ δόγματα

Freut euch und erinnert euch der Lehren.

Diogenes Laertios X, 16.

2) Eudaimonie

Die zweite Art des Glücks ist die Eudaimonie, ein weiterer zentraler Begriff in der Philosophie, der im Laufe der Zeit bei verschiedenen Denkern unterschiedlich verwendet worden ist. Eudaimonie (aus εὖ ‚gut‘ und δαίμων ‚Geist‘) bedeutet wörtlich die ‚Präsenz von einem guten Geist‘, der wie eine Art Schutzengel durch das Leben begleitet.

Was ist die Eudaimonie?

Was ist Eudaimonie?

Für Aristoteles ist die Eudaimonie ein Zustand wahrer Glückseligkeit, den wir durch ein erfülltes und tugendhaftes Leben erreichen. Auch diese Form von Glück basiert also auf einem Leben, das im Einklang mit ethischen Prinzipien und den eigenen Werten steht:

δοκεῖ δ‘ ὁ εὐδαίμων βίος κατ‘ ἀρετὴν εἶναι

Das glückliche Leben scheint in Übereinstimmung mit der Tugend zu sein.

Aristot. eth. Nic. X, 1177a.

Ein tugendhaftes und daher glückliches Leben erfordert einen Lernprozess, denn nach Aristoteles muss man lernen, das, was gut ist, zu lieben, und das, was schlecht ist, abzulehnen, damit wir das eigene Potenzial im Einklang mit unseren Werten verwirklichen.

Eudämonisches Glück ist also kein rein emotionaler Zustand, sondern ein rationales, in moralischen Prinzipien verankertes Glück. Es geht nämlich darum, durch die äußere Erfüllung von einem inneren Gefühl für Sinn und Zweck Wohlbefinden zu erreichen. Denn Tugend kann man sich bekanntermaßen nicht schön denken, sondern kann nur durch entsprechende Verhaltensweisen erreicht werden:

Virtus in usu sui tota posita est.

Die Tugend liegt gänzlich in ihrer Anwendung.

Cic. rep. 1.2.

Ich finde, dass dieses Konzept der Glückseligkeit in der ethisch verankerten Erfüllung des eigenen Potenzials doch dem vom ungarischen Psychologen Mihály Csíkszentmihályi geprägten Begriff des Flow sehr nah steht. Flow bezeichnet den Zustand völligen Eintauchens in eine herausfordernde Tätigkeit, die unsere Fähigkeiten optimal fordert. Während wir im Flow sind, vergessen wir die Zeit und erleben eine tiefe und ruhige Freude, Sinn und Zufriedenheit.

Die Entartung der Eudaimonie: Hybris

Was passiert nun, wenn wir übermäßig nach Exzellenz streben? Was passiert, wenn wir krampfhaft einem Sinn der Erfüllung nachgehen? Wie sieht die Entartung der Eudaimonie aus?

Die Entartung der Eudaimonie ist Hybris.

Hybris (aus agr. ὕβρις ‚Übermut‘, ‚Anmaßung‘) bezeichnet einen solchen Hochmut, der den Menschen zu einem Realitätsverlust führt.

Die Suche nach Eudaimonie kann leicht in extreme Verhaltensweisen umschlagen, wie etwa:

  • Workaholic-Verhalten
  • Toxic Productivity
  • Perfektionismus
  • übermäßiges kompetitives Verhalten
  • Neid
  • usw. usf.

Dass das Streben nach Erfüllung zu endlosem Jagen nach beruflichem Erfolg, pausenloser Produktivität oder absoluter Fehlerintoleranz führen kann, zeigt, wie selbst die edelsten Ziele schädlich werden können, wenn wir das Gleichgewicht verlieren.

Lesen Sie auch: Perfektionismus: eine heilbare Krankheit.

Was können wir von Aristoteles lernen?

Eudaimonie erinnert uns daran, dass wahres Glück in einem Leben liegt, das Sinn hat, – und dass dieser Sinn durch die Moral und die Verwirklichung des eigenen Potentials entsteht. Es zeigt uns auch, dass ein Lernprozess und daher Bildung unentbehrlich sind.

Um dieses Gleichgewicht zu wahren, können wir uns am Konzept des Flow orientieren: eine erfüllende Tätigkeit, die uns fordert, ohne uns zu überfordert, und die uns im Moment aufgehen lässt. Durch den bewussten Einsatz unserer Fähigkeiten und die Wertschätzung unseres Fortschritts können wir nicht nur unser Potential entfalten, sondern auch ein tiefes Gefühl der Zufriedenheit finden.

Wenn wir nach Perfektion streben oder 20 Stunden am Tag produktiv sein wollen, sind wir auch nicht mehr im Flow!

Klare Lektüreempfehlung: The Artist’s Way von Julia Cameron!

Lesen Sie auch: 3 Buchempfehlungen für absolut alle, wo ich auf dieses wundervolle Buch näher eingehe.

3) Verbundenheit

Die dritte Art des Glücks nennt Brianna Wiest gratitude. Ich glaube aber, dass es um mehr geht, und bevorzuge Verbundenheit.

Was ist Verbundenheit?

Diese Form der Glückseligkeit entspringt eben einem tiefen Gefühl der Verbundenheit, auch der Dankbarkeit und Wertschätzung. Es ist nämlich die Fähigkeit, das Schöne im Leben wahrzunehmen und sich mit etwas Größerem – seien es die Mitmenschen, die Natur oder eine höhere spirituelle Ordnung – verbunden zu fühlen.

Zwar kann auch diese Form von Glückseligkeit geschult werden, aber sie ist weniger ein aktives Streben und mehr ein Zustand des Wahrnehmens und Akzeptierens. Es geht darum, im Hier und Jetzt anzukommen und die Fülle des Lebens in kleinen und großen Momenten zu erkennen – sei es der Sonnenaufgang, ein ehrliches Gespräch oder die Erkenntnis, Teil von etwas Größerem zu sein. Ich glaube, es geht im Grunde darum zu erkennen, dass wir Teil von einem größeren Ganzen sind und unser Leben wichtiger ist als die kleine Lebenserfahrung, die wir machen.

Viktor Frankl beschreibt, wie der Schmerz den Sinn des Lebens nicht zerstört. Wir können eine existenzielle Glückseligkeit darin finden, dass wir unsere kleine Lebenserfahrung durch Verbundenheit mit etwas Größerem oder Höherem traszendieren. Das Leben hat dann trotz seiner Widrigkeiten – manchmal gerade durch seine Herausforderungen – einen tiefen Sinn. Es ist also klar, dass diese Dankbarkeit weit über ein oberflächliches #goals reicht. Sie kann spirituelle Glückseligkeit werden: das Gefühl, unentbehrlichen Teil eines göttlichen Plans zu sein.

Die Entartung der Verbundenheit: Orientierungslosigkeit

Die Verbundenheit, die eigentlich dazu dienen sollte, trotz aller Widrigkeiten Sinn und Halt im Leben zu finden, kann in ihrer entarteten Form zu Orientierungslosigkeit führen. Diese äußert sich auf verschiedene Weise, entweder durch Übertreibung oder durch Vernachlässigung:

  • Einerseits wird Blinde Positivität zu einem Mittel, um Probleme zu verdrängen, statt sich ihnen mutig zu stellen. Statt konstruktiv mit Herausforderungen umzugehen, wird eine oberflächliche „Alles ist gut“-Haltung kultiviert, die weder ehrlich noch nachhaltig ist. Übertriebene Dankbarkeit kann außerdem zu People-Pleasing und übermäßiger Aufopferung führen, die nicht aus echter Verbundenheit entspringen, sondern aus einem zwanghaften Bedürfnis nach äußerer Bestätigung.
  • Andererseits kann Zynismus als Schutzmechanismus auftreten, etwa wenn wir auf der Suche nach der erhofften Verbundenheit enttäuscht und verletzt wurden.

Die Entartung beraubt die Verbundenheit ihrer ursprünglichen Kraft, nämlich der Fähigkeit, Orientierung, Hoffnung und Sinn im Leben zu stiften. Der Mensch verliert seine innere Ausrichtung, weil er sich entweder in Illusionen verliert oder durch übermäßige Skepsis seine Verbindung zur Welt kappt.

Was können wir von der Verbundenheit lernen?

Von der Verbundenheit können wir lernen, dass wir durch unser individuelles Streben vor allem dann Glückseligkeit erreichen können, wenn wir uns in der Beziehung zu etwas Größerem sehen, das unsere Lebenserfahrung transzendiert. Dies kann das Göttliche, eine Gemeinschaft oder etwas anderes sein, durch die unsere Anstrengungen lohnenswert werden.

Schluss: Das Framework für ein glücklicheres Leben

Was können wir von all diesen Denkern und Konzepten lernen, um nachhaltige Glückseligkeit zu erreichen? Die Antwort liegt in einem ausgewogenen Zusammenspiel der drei Arten von Glück, das bewusst gestaltet und in der Mäßigung Entartungen vermeidet.

Hier ist ein Framework, das Ihnen helfen wird, ein wirklich erfülltes Leben zu gestalten:

  1. Exzellenz
    Finden Sie einen Bereich, der Ihnen liegt – nicht einen, der nur anderen gefällt oder gesellschaftliche Anerkennung verspricht. Lassen Sie sich dabei vom apollinischen Gebot γνῶθι σεαυτόν – ‚Kenne dich selbst!‘ – leiten und entfalten Sie Ihre Fähigkeiten in einem Streben nach Exzellenz.
  2. Dienstwille
    Stellen Sie diese Exzellenz in den Dienst anderer Menschen. Nutzen Sie sie, um einen Mehrwert für andere Menschen zu schaffen. Das Streben nach persönlichem Wachstum und der Dienst an einer Gemeinschaft oder einem größeren Ziel gehen Hand in Hand.
  3. Dopaminausstoß
    Genießen Sie das Erreichen von herausfordernden Zielen. Nehmen Sie die Glückshormone wahr, wenn Ihnen Menschen Dankbarkeit zeigen. Und gönnen Sie sich als Belohnung einen verdienten Genuss, der Sie weiter stärkt.

Mit diesem Modell werden Sie ein sinnhaften, schönen Leben führen, in dem Reue keinen Platz findet.

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Silvia Ulivi

Humanistin mit einem unstillbaren Faible für Sprachsysteme, Literatur und Unterricht

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